post-title Jens Pecho | Not Enough | EBENSPERGER BERLIN | 01.07.–21.08.2022

Jens Pecho | Not Enough | EBENSPERGER BERLIN | 01.07.–21.08.2022

Jens Pecho | Not Enough | EBENSPERGER BERLIN | 01.07.–21.08.2022

Jens Pecho | Not Enough | EBENSPERGER BERLIN | 01.07.–21.08.2022

bis 21.08. | #3534ARTatBerlin | EBENSPERGER BERLIN präsentiert derzeit die Ausstellung „Not Enough“ des Künstlers Jens Pecho.

Sprache und Manipulation sind bedeutende Werkzeuge in der Praxis von Jens Pecho. „Not Enough“ versammelt erstmals Arbeiten des Berliner Künstlers in einer umfassenden Galerie-Einzelausstellung. In seinen textbasierten Arbeiten, Videos und Installationen nutzt Pecho gefundenes Material, das er isoliert, in einen neuen Kontext bringt oder auf der Inhaltsebene verdichtet. Sein Interesse gilt dabei einer fortwährenden Aushandlung von Sprache und ihren Bedeutungsebenen: Wie generiert sich Sinn, was ist real und was Fiktion? Zitate aus Filmen, Fragmente bekannter Songs, Gesetzestexte, empirische Daten, pseudo-wissenschaftliche Schaubilder oder dem allgemeinen Sprachgebrauch entnommene Wörter erlangen durch Verfremdung oder Kontextverschiebung eine neue Qualität, die Unterschwelliges an die Oberfläche holt und vermeintlich Banalem Tiefe verleiht.

Wie ein kapitalistisches Mantra schweben die Worte „Not Enough“ des Ausstellungstitels über dem Untergeschoss der Galerie. Dort verbindet Pecho in einer mehrteiligen Installation Video, Sound und Objekte zu einer komplexen Raumerfahrung, die zwischen sakraler Andachtsstätte und Einkaufszentrum changiert. Doch unser Wunsch nach Erlösung und maßlosem Konsum – wie er von den beiden Orten suggeriert wird – bleibt am Ende unerfüllt.

In seinem Video Aah, Awe and Ugh (2021, Abb. 1) setzt sich Pecho mit den historischen Bedeutungsverschiebungen der Begriffe „awful“ und „awesome“ auseinander und lenkt durch einen erzählerischen Spannungsbogen den Blick auf die durch inflationäre Nutzung generierte Bedeutungsleere des Begriffs „awe“ – der Ehrfurcht vor dem Erhabenen

ART at Berlin - EBENSPERGER - Jens Pecho - 1Jens Pecho, courtesy the artist +  EBENSPERGER Berlin

Über den Ausstellungsraum verteilen sich Soft Sculptures der Serie Do Not Eat, Throw Away (2021, Abb. 2), die überlebensgroßen Silica-Trockenmittelsäckchen nachempfunden sind. Mit dem Slogan „I’m with stupid“ bedruckte T-Shirts zieren zwei Kleiderrondelle (Unisex/Perfect Fit, 2021) und scheinen wie in einem Reigen aufeinander zu verweisen. Sie erinnern uns an die Massenzirkulation von Waren und wie diese dazu beiträgt, Kitsch zum ästhetischen Standard unserer Gesellschaft zu erheben. Die Postkartenedition Ceres und Triptolemos mit Corvus cornix (2021) bildet eine Skulpturengruppe im Park von Schloss Sanssouci ab. Eine Allegorie, die zeigt, wie Ceres Triptolemos im Ackerbau unterweist und damit der Menschheit die ersten landwirtschaftlichen Kulturtechniken beibringt. Eine Nebelkrähe auf dem Kopf von Ceres ergänzt vorübergehend die Marmorskulpturen. In ihrer Gesamtheit lassen die Werke den Ausstellungsraum wie ein seelenloses Warenhaus erscheinen, in der die Kunst zum austauschbaren Massenprodukt wird.

Auch bei Medley (2008) spielt die Bedeutung von Massenprodukten und die Auswirkung von deren Verbreitung eine Rolle. Für das Video hat Pecho 143 Songfragmente mit homophobem Inhalt aus Hip-Hop, Black Metal, Reggae und anderen Musikrichtungen neu zusammengestellt. Vergleichsweise harmlose Beschimpfungen sind darin genauso zu finden wie Aufrufe zur Ermordung schwuler Männer. Angepasst an den Rhythmus der Lyrics läuft deren Transkription als weißer Fließtext über den schwarzen Screen eines Monitors. Durch Wiederholung und Aneinanderreihung abwertender Bezeichnungen wie „faggots“ oder „sissies“ führt uns Pecho explizit schwulenfeindliche Inhalte vor Augen, die als Produkt der Popkultur verbreitet werden und ihre Zuhörer*innenschaft indoktrinieren. Durch deren Verdichtung entlarvt Pecho eine als Aggression getarnte Angst vor Entmännlichung, die sich hinter der degradierenden Sprache der Sänger verbirgt.

ART at Berlin - EBENSPERGER - Jens Pecho - 2
Jens Pecho, courtesy the artist +  EBENSPERGER Berlin

Pechos Werke stellen uns vor Aussagen, die in ihrer Wörtlichkeit wenig Interpretationsspielraum zu ermöglichen scheinen, durch Kontextverschiebung jedoch neue Konnotationen oder andere Bedeutungen zulassen. Sie bewegen sich gekonnt zwischen distanzierter Darstellung unterschiedlicher Kommunikationssysteme und den Auswirkungen, die diese auf Gesellschaft und Individuum haben. Im Erdgeschoß der Galerie findet sich ein Poster im Format DIN A0 aus Pechos Serie Statistisches Bundesamt, Fachserie 12, Reihe 4 (seit 2009 – fortlaufend), die auf den jährlich veröffentlichten Daten zu Sterbefällen in der Bundesrepublik Deutschland basiert. Die Klassifizierungen nach Todesursache, Geschlecht und Alter sind dabei vom Statistischen Bundesamt übernommen. Titelgebend für die Auflage des jeweiligen Jahres sind die Vornamen von Verstorbenen aus dem persönlichem Umfeld des Künstlers. Durch die Markierung dieser Personen innerhalb der Auflistung verweist Pecho auf die Diskrepanz, die zwischen den anonymen und nüchternen Fakten der Statistik und der persönlichen Betroffenheit angesichts der Todesfälle besteht.

Die Videoarbeit Three Casualties (2018, Abb. 3) untersucht Szenen aus drei unterschiedlichen Filmen, in denen je ein Stunt zu sehen ist, welcher zum Tode des ausführenden Stunt Doubles führte. In manchen Fällen wurden diese Szenen in der finalen Version des Film belassen, was dazu führte, dass die Zuschauer*innen gleichzeitig einen realen, wie auch fiktionalen Todesfall auf der Leinwand sahen. Pecho betrachtet hier den Körper aus zweierlei Blickrichtungen: als medialen Körper, der in der Vorstellung der Zuschauer*innen nur im Film den physischen Tod erleidet, und als realen Körper, der den Menschen an seine eigene Sterblichkeit erinnert. Letztendlich tritt darüber hinaus auch die Gleichgültigkeit einer ausbeuterischen Filmindustrie in den Vordergrund, die aus Profitgier und dem Wunsch nach Massenunterhaltung im wahrsten Sinne über Leichen geht.

ART at Berlin - EBENSPERGER - Jens Pecho - 3
Jens Pecho, courtesy the artist +  EBENSPERGER Berlin

Pecho dekonstruiert Sprache und Bilder so, dass Wahrheitskonstruktionen hinterfragt und destabilisiert werden. Das Ergebnis einer doppeldeutigen Suchmaschinenanfrage wird in ihrer bildlichen Darstellung zur humorvollen „Heiligen“-Gegenüberstellung (Madonna with Child, 2017, Abb. 4). An unterschiedlichen Stellen in der Ausstellung sind Leuchtkästen platziert, auf denen Textarbeiten abgebildet sind. Die Autorenschaft der Schriften bleibt dabei unbekannt, inhaltlich scheinen sie jedoch eine Kommentarfunktion einzunehmen. Die aufdringliche Sprache einer Selbstoptimierungs-Gesellschaft (On Improvement, 2020) oder die überspitzte Ernsthaftigkeit des Kunstbetriebsjargons (Eine Kunst, die Ja sagt, 2016) geraten aus dem Gleichgewicht. Der Rückgriff auf Existierendes und die analytische Betrachtung künstlerischer Formensprache stehen bei Pecho genauso in der Tradition der Konzeptkunst wie das Spiel mit der Erwartungshaltung der Betrachter*innen. Während die glatte Ästhetik oft etwas Einfacheres vermuten lässt, erschließt sich die Komplexität der Arbeiten erst beim genauen Hinschauen. Die Wirksamkeit von Pechos Arbeiten resultiert dabei immer aus der Gegenüberstellung, der Wiederholung und dem steten Zusammenspiel von Schrift, Bild und Form. Indem er die Inhalte aus ihrem konventionellen Umfeld löst, sich aneignet und neu zusammenfügt, verdichten sich die Worte und Bilder zu einer Kritik an Sprache und Form, die nicht zuletzt auch als Gesellschaftskritik zu verstehen ist

Ausstellungsdaten: Freitag, 01. Juli bis Sonntag 21. August 2022

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Titelbildunterschrift: Jens Pecho, courtesy the artist +  EBENSPERGER Berlin

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