post-title Ahmet Öğüt | Hotel Résistance | KOW | 25.11.2017-28.01.2018

Ahmet Öğüt | Hotel Résistance | KOW | 25.11.2017-28.01.2018

Ahmet Öğüt | Hotel Résistance | KOW | 25.11.2017-28.01.2018

Ahmet Öğüt | Hotel Résistance | KOW | 25.11.2017-28.01.2018

bis 28.01. | #1743ARTatBerlin | KOW zeigt seit 25. November 2017 die Ausstellung Hotel Résistance des Künstlers Ahmet Öğüt .

Etwas zerrt an den drei Männern, reißt am Hosenbein, zieht am Ärmel. Es ist eine Attacke auf drei Körper – doch wer oder was sie angreift, zeigt sich nicht. In Bronze gegossen stehen die drei Figuren, kleiner als lebensgroß, auf Sockeln im oberen Raum der Galerie. Standbilder eines gewaltsamen Augenblicks, dessen Gründe unbekannt und dessen Opfer anonym bleiben. Sind das Helden? Später in dieser ersten Galerie-Einzelausstellung Ahmet Öğüts klärt sich der Umstand insofern, als drei Polizeihunde, ebenfalls aus Bronze, in einem anderen Stockwerk ihren Dienst roher Staatsgewalt verrichten. Hund beißt also Mann, Polizeiapparat versus Einzelne. Dieses ikonische Motiv aus dem globalen Protestbildgedächtnis hat Öğüt indes räumlich und zeitlich zerschlagen und stellt uns in die Lücke unserer Unkenntnis über die Kausalzusammenhänge. Erst unsere Bewegung und Erinnerung im Raum mag die Teile zu einem Denkmal zusammenfügen, zu einem bronzenen „Monument in Motion“, so Öğüt, das seine Helden nicht kennt und der Vielen gedenkt, an denen gezerrt wird.

Diese Bewegung setzt sich fort. Das Motiv des Protestes und die Ansprache an den Beobachter als aktives Subjekt mit Leib und Hirn, eigener Macht und Ohnmacht, prägen den Fortgang der Ausstellung. Eingelassen in drei Podeste finden sich Landschaftsmodelle im Maßstab 1:100. Wir schauen in die sandigen Gruben großer Bauprojekte in China und der Schweiz. In ihrer Mitte stehen sogenannte „Nail Houses“, jene auf einem Erdzahn zurückgebliebenen Einzelgebäude, um die herum eine ganze Bauindustrie ihr Baggern und Wirken vorerst organisieren muss, weil einzelne Eigentümer sich weigern zu verkaufen, auszuziehen, mitzuspielen. Auch dies sind Monumente des alltäglichen Widerstandes mit vielen globalen Erscheinungsformen in einem politisch-ökonomischen Klima, das dem eigenen Körper und den eigenen vier Wänden auf den Leib rückt. Die Bewohner des Zürcher Nagelhauses montierten – den Schriftzug des benachbarten Hotel Renaissance nachahmend – die Lettern„Resistance“ an ihre Fassade und trotzen dem Abriss.

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Öğüt recherchiert Einzelfälle des Widerstands gegen politische und ökonomische Drangsalierung, bringt sie in Zusammenhang, findet Typologien und übersetzt sie in Muster oder verdichtete Formen, die indes weniger aufklären als emanzipieren. Er sucht weniger die Kritik als den Spielraum des Subjekts für ein Handeln, das noch nicht vorgezeichnet, aber möglich ist. Und wo Handeln jetzt nicht möglich scheint, schlimmstenfalls durch den drohenden Tod, da verbleibt der 1981 in Diyarbakır geborene Öğüt, der heute in Berlin und Amsterdam lebt, nicht bei Erinnerungskultur oder Gesten des Protests. Stattdessen setzt er darauf, dass die Teilhabe am Geschehen noch Optionen bereithält, die aus dem Antagonismus, aus Streit, Widerspruch und Risiko hervorgehen.

Untergeschoss: Öğüts Animationsfilm United verknüpft die Schicksale zweier Protagonisten, die während öffentlicher Demonstrationen von Tränengasgeschossen der Polizei getötet wurden. Mit 21 Jahren wurde Lee Han-yeol 1987 ein Märtyrer der Protestbewegung in Südkorea. Enes Ata starb 2007 als Achtjähriger, als er auf dem Heimweg zwischen die Fronten in Öğüts Heimatstadt Diyarbakır geriet. Im Manhwa-Stil zeigt der Künstler zunächst den Augenblick kurz vor beider Straßentod – im Anschluss geben uns die zwei vital und heiter Tipps für den Schutz gegen künftige Tränengasangriffe. In Südkorea zeigte Öğüt das Anime über Enes Ata und in der Türkei die Geschichte von Lee Han-yeol, vertauschte also die Orte des Geschehens und die ihrer öffentlichen Repräsentation. So singulär beide Fälle sind, so ordnen sie sich doch quer zum Raum-Zeit-Kontinuum in die internationale Wiederkehr des mörderischen Gleichen und seiner Apparate. 2015 beschloss Südkorea die Lieferung von 1,9 Millionen Tränengaskanistern an die Türkei.

In Öğüts jüngster Videoproduktion Inside the Fortress, die hier Premiere hat, wird die Architektur zum Bildträger einer kniffligen politischen Erzählung, die den Künstler einschließt. Als 19-Jähriger wirkte Öğüt an einem Architekturmodell der berühmten Großen Moschee von Diyarbakır mit. Ein Lohnjob als Maler, um die Illusion einer Kopie dieses UNESCO-Weltkulturerbes zu erstellen, die sich heute im Miniaturpark Miniatürk in Istanbul findet. 2017 filmt Öğüt dort „sein“ altes Werk wie den virtuellen Schauplatz eines Fantasy- oder Shooter-Games und verschränkt die Bilder mit Originalton-Fragmenten aus Diyarbakır, die 2016 an die Presse gelangten, als in der Stadt kriegsähnliche Zustände herrschten. Wir hören die Ankündigung eines Attentats, kurz darauf den Bericht von Schüssen während der Ausgangssperre, und sehen dann das Minarett von Polizeiabsperrungen verriegelt. Abspann.

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Welterbe, Altstadt, Tatort, der Blick gleitet bei „Inside the Fortress“ entlang der Außenfassaden eines Gegenwartskonflikts, dessen Binnenräume opak bleiben. Falls Architektur in diesem Film etwas repräsentiert, dann liegt zwischen dieser Repräsentation und dem bezeugten Geschehen in der Türkei erneut eine Lücke, die das Werk nicht schließt. Tatsächlich agiert der Künstler immer wieder wie ein Geschichtenerzähler, dessen Pointen nicht in der Darstellung der Ereignisse liegen, die gleichwohl real und politisch geladen sind. Stattdessen ziehen uns seine Arbeiten hinein in die Beobachtung von Situationen und Verhältnissen, die nicht die eigenen sein mögen – vielleicht sind es die ganz anderer Menschen – und doch in der vorsätzlichen Fragwürdigkeit des ausgestellten Werkes auch die unseren werden.

Waren Sie im Zuccotti Park in New York, als Occupy Wall Street seine Zelte aufschlug? Die meisten von uns wohl nicht. Am Boden der Ausstellung liegt ein Feld aus Ziegelsteinen, dahinter eine blaue Wand und darauf ein Kamerablick, der Öğüts Zeigefinger dabei begleitet, wie er vor Ort auf einzelne Akteure zwischen den Zelten dieser Protestbewegung zeigt und sie benennt: David, Barbara, Peter. Die Namen, aus der Luft gegriffene Stereotype, entstammen einer Liste der 300 populärsten Vornamen in den USA. Der Künstler ahmt die Observation durch das FBI nach, dessen Kameras natürlich jeden im Park registrierten und das auch die echten Namen der Beteiligten in Petto hatte. Doch macht Öğüt klar, dass diese Observation ins Leere ging. Es war der Esprit der solidarischen Anonymität wider besseres Wissen, der Occupy vereinte. Der Titel der Arbeit, Oscar William Sam, mimt das Buchstabieralphabet der Polizei nach: O(scar) W(illiam) S(am) gleich Occupy Wall Street. Das Feld aus Ziegelsteinen liegt bereit als öffentlicher Platz oder als Material zum Wurf. Ob wir die Steine betreten, in die Hand nehmen, oder Unbeteiligt bleiben, ist unsere Entscheidung.

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Öğüts Laser Box macht klarere Vorgaben: Als der Arabische Frühling Kairo erreichte, kamen Aktivisten auf den Gedanken, mit starken Laser-Pointern die Sicht der Hubschrauberpiloten des anfliegenden Militärs zu stören. Der Künstler präsentiert zehn dieser spontanen Widerstandsinstrumente wie edle Zigarren in einer exklusiven Box, deren Erwerber/innen sich vertraglich dazu verpflichten, während einer künftigen Demonstration neun der zehn Instrumente an Mitdemonstranten weiterzugeben. Auch die nächste Arbeit fordert das eigene Handeln heraus: Let’s imagine you steal this poster. Im Foyer der Humboldt-Universität hängen gerahmte Poster an den Wänden, die an Nobelpreisträger aus der Uni-Geschichte erinnern, ausschließlich Männer. An die Bürgerrechtlerin Angela Davis, die hier ihren Doktortitel in Philosophie erwarb, erinnert die Ahnengalerie nicht. Um diese Lücke zu schließen hat Öğüt ein Poster für Davis vervielfältigt, das in der Ausstellung ausliegt, um von dort seinen Weg in die in  Universität zu finden.

In Öğüts Werk treten immer wieder offene Zwischenräume und Anschlussstellen zutage, die auf die geistige oder physische Handlungsbereitschaft seines Publikums zielen und durch die es der Künstler programmatisch unterlässt, auf sein letztes Wort bei der Bedeutungsproduktion zu pochen. Mustergültig findet sich diese Haltung in dem Projekt Reverb. Öğüt lud 2015 die Londoner Band Fino Blendax ein, gemeinsam Soundtracks zu seinen Arbeiten zu produzieren, eine akustische Relektüre und musikalische Fortführung der letzten zehn Jahre seiner künstlerischen Praxis. Anlässlich unserer Ausstellung hat er elf der Stücke auf Vinyl gepresst. Eine Werkrückschau im Plattenformat. Das Projekt unterstreicht, dass Öğüt historische Ereignisse – einschließlich seine eigenen zurückliegenden Arbeiten – nicht als beendet ansieht.

Daher muss auch die Repräsentation gestriger Ereignisse laufend neu überdacht und umgeschrieben werden. Was war, bleibt eingebettet in ein Netzwerk neuer möglicher Begebenheiten, Akteure und Mächte und ihrer möglichen Zusammenstöße. Diese Gegenwärtigkeit des Vergangen gilt ebenso für die Zukunft. Ahmet Öğüt nimmt Abstand von einem Utopie-Begriff, der den Ausgang aus aktuellen Sackgassen auf kommende, bessere Zeiten vertagt: „Utopia must be emancipated from the future“, sagte er. Utopie und Dystopie, Feststecken und Weitergehen sind für ihn der gleiche Augenblick. Denn wo unser Vorstellungsvermögen jetzt an seine Grenzen stößt, liegt auch der politische, emanzipative, ja utopische Zeitpunkt einer möglichen Transformation. Erst wenn nichts mehr geht, geht noch etwas ganz Anderes. Man hat das auch Revolution genannt.

Text: Alexander Koch, Editing: Martin-Georg Endress; Photos: Ladislav Zajac / KOW

Vernissage: Freitag, 24. November 2017, 18:00 – 22:00 Uhr

Ausstellungsdaten: Samstag, 25. November bis Sonntag, 28. Januar 2017

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Bildunterschrift: Ahmet Öğüt  – Foto Ladislav Zajac / KOW

Ausstellung Ahmet Öğüt – KOW | Contemporary Art – Kunst in Berlin – ART at Berlin

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