bis 28.11. | #2884ARTatBerlin | Semjon Contemporary zeigt ab 24. Oktober 2020 die Ausstellung edit-2.0/Der Zweite Öffentliche Raum mit Wandobjekten, Installation und Fotografie des Künstlers Thomas Prochnow.
Der zweiteilige Ausstellungstitel verrät bereits, dass hier zwei künstlerische und thematische Schwerpunkte gesetzt werden, die Thomas Prochnow zeigen wird. edit-2.0 fasst die beiden Vorgängerausstellungen edit_black (2017) und edit_white (2019) zusammen, bzw. stellt das Exzerpt von beiden vor.
In beiden Ausstellungen hat der Künstler seine edit-Werke vorgestellt, die sich mit Ordnungsprinzipen auseinandersetzen und den Begriff von Normierung hinterfragen. Zum einen gibt es die Ordnung – man könnte auch sagen das Editiermerkmal – Farbe, zum anderen die Ordnung der Normgröße, die DIN-Größe. Beiden Parametern als Grundprinzip folgend schafft sich der Künstler ein Betätigungsfeld, das in seinem Output vielfältig und überraschend ist: Ist in edit_black die Farbe Schwarz das Hauptmerkmal, so komponiert der Künstler aus allen erdenklichen Materialien, seien es Fundstücke (Holz- und Bauplattenreste, beschichtet oder roh) oder Materialien aus dem Baumarkt wie Gitter, Gummimatten und dergleichen, die er wie bei einer Assemblage zu einem Bild zusammensetzt. Unschwer lässt sich ein Einfluss durch die Geschichte der Konstruktiven Kunst der Klassischen Moderne bis zur Nachkriegsmoderne ablesen, der jedoch immer im geschaffenen Werk das Moment der künstlerischen Brechung birgt. Die Größen der Werke sind schematisch in Werkgruppen von DIN A6 bis DIN A1 oder auch DIN A0 eingeteilt.
Die künstlerische Brechung ist der Akt der Individualisierung des zu schaffenden oder auch des geschaffenen Werkes, das erst einmal als eine freie Deklination einer oder mehrerer Normen verstanden werden könnte. Konzentriert Thomas Prochnow sich z. B. auf eine Werkserie, die die DIN-A4-Größe und die Farbe Weiß als Ordnungsprinzip beinhaltet, wird eine Vielfalt von Bildwerken erzeugt, die diverser nicht sein kann. Mal sind es aneinandergereihte und miteinander verklebte Formstücke aus z. B. weißem Kunststoff, mal horizontal, vertikal oder gar diagonal ausgerichtet. Vorgefundene Plastik- oder Holzfundstücke, die die Farbe Weiß als Oberflächenmerkmal besitzen, werden zu geschichteten, in der Anordnung zueinander mal strengen oder auch weniger strengen konstruktiven Ensembles gefügt. Jedes Bildwerk ist hier jedoch auf DIN-A4-Größe geschnitten. So entstehen Reihungen oder Serien, die nebeneinander gehängt ein vitales Spiel von Form, Struktur und Farbe ergeben. Die Verschattungen der reliefartigen Werke, aber auch die Dichte des vorgefundenen weißen Farbauftrages einkalkulierend, sind sie alle jedoch im Höhen- und Breitenmaß identisch.
Thomas Prochnow, 2020, 2ÖR installation, Serie mixed, colored ZZ1, 2016
Verknüpft nun Thomas Prochnow in der aktuellen Ausstellung die Ordnungsprinzipen Farbe (hier weiß und schwarz) mit der DIN-Größe, dann wächst bereits vor dem inneren Auge eine kontrastreiche Inszenierung, die in Größe, Struktur und Form und den Farben Schwarz und Weiß (und ihren jeweiligen Differenztönen) eine abwechslungsreiche Komposition bildet.
Die Werke aus seiner Serie Der Zweite Öffentliche Raum sind allesamt Farbfotografien, als Pigmentdruck auf Fine-Art-Papier umgesetzt. Die künstlerische Fotografie ist der letzte materialisierte Arbeitsschritt seiner von langer Hand vorbereiteten Rauminterventionen. Dieses Medium darf und soll auch überleben, die Grundlage dafür, der künstlerische Eingriff in vorgefundenen Räumen, ist jedoch dem Schicksal preisgegeben:
Der Künstler kommt von der ostdeutschen Graffiti/Street-Art-Szene der Nachwendezeit und hat im Laufe der Jahre eine autarke, streng formale Sprache entwickelt, sicherlich ein Resultat seines Studiums an der Hochschule für Bildende Künste in Dresden, u.a. bei Monika Brandmeier, und seiner intensiven Auseinandersetzung mit der Geschichte der Konstruktiven Kunst.
Seine Eingriffe in dem vom Künstler sogenannten Zweiten Öffentlichen Raum sind stets von intelligenter Art und bestechen durch die Schönheit des Kontrastes zwischen minimalistischen künstlerischen Eingriffen und der uns in der Fotografie überlieferten Schönheit malerischer verlassener Orte mit den Spuren von ehemaligem Leben, seien es Industrieruinen, Bunker oder unwirtliche, technoide Straßenarchitekturen wie Brückenpfeiler und dergleichen.
Der einsame, fast eremitenhafte Eingriff des Künstlers in diese Räume wird uns durch die klug inszenierte Fotografie überliefert, und durch sie nehmen wir Teil an seinen pionierhaften Raumeroberungen. Aus der in der Graffiti-Szene typischen Trophäenfotografie ist eine kraftvolle und zugleich stille künstlerische Fotografie geworden.
Die fotografischen Werke werden in verschiedenen Größen und Auflagenhöhen realisiert.
Die Titel der Fotografien zeugen von seiner systematischen Herangehensweise, das Ordnen in Farben und Formen, und sie verweisen somit auf den strukturell-ordnenden Geist seiner anderen Werkgruppen von edit-2.
Semjon H. N. Semjon, Oktober 2020
Aktuell wird seine Werkgruppe der Zweite Öffentliche Raum im Magazin CUBE (Online-Version) vorgestellt: https://www.cube-magazin.de/blog/detail/sCategory/38/blogArticle/652
Soft Opening: Freitag, 23. Oktober 2020, 16:00 – 21:00 Uhr
Ausstellungsdaten: Freitag, 23. Oktober bis Samstag, 28. November 2020
Save the date: Dave Grossmann | semi collapse + Accrochage | 12.12.2020 – 23.1.2021
Zur Galerie
Bildunterschrift: Thomas Prochnow, 2020, 2ÖR, installation, Detail Serie mixed gp colored gp ZZ1 2016
Ausstellung Thomas Prochnow – Semjon Contemporary | Zeitgenössische Kunst in Berlin – Contemporary Art – Ausstellungen Berlin Galerien – ART at Berlin