bis 16.08. | #4656ARTatBerlin | neugerriemschneider (Linienstraße) zeigt ab 03. Mai 2025 (Vernissage: 02.05.) die Gruppenausstellung „advective motion, nebulous currents“ der Künstler*innen Ai Weiwei, Isa Genzken, Louise Lawler, Sharon Lockhart, Tomás Saraceno, Simon Starling, Tobias Rehberger, Shilpa Gupta, Mario García Torres, Thomas Bayrle, Pae White, Andreas Eriksson.
Mit Werken, die ihre Motive verzerren, dehnen, verpixeln, verwischen oder im Nebel verschwinden lassen, schärft die Gruppenausstellung advective motion, nebulous currents den Blick für das Unbestimmte. In den gezeigten Skulpturen, Fotografien, Drucken und Textilien zerfällt die Stabilität des komponierten Bildes zugunsten einer formbaren, schemenhaften und flüchtigen Realität, in der Definitionen und Gewissheiten in Frage gestellt oder aufgehoben werden. Während sich die Arbeiten formal in sich selbst zurückziehen, übersetzt die Wahrnehmung sie in traumartige und surreale Szenen, in Nachbilder und fließende Erscheinungen, welche die Ambiguitäten unserer Zeit widerspiegeln.
Ai Weiwei – Nord Stream, 2022
Ai Weiweis Nord Stream (2022) reproduziert eine vom dänischen Verteidigungsministerium veröffentlichte Fotografie, die das Resultat der gesprengten Erdgaspipeline Nord Stream 2 zeigt, als großformatige Komposition aus Lego-Steinen, deren Pixelästhetik auf ihre Verbreitung in den digitalen Medien anspielt. Aufgenommen südöstlich der dänischen Insel Bornholm am 27. September 2022, einen Tag nach den Explosionen, fasst das Bild mehr als zwei Jahrzehnte angespannter internationaler Beziehungen zusammen und knüpft in Nord Stream an Ais Auseinandersetzung mit politischen Themen an. Dabei kontrastiert das spielerische, leicht zugängliche Medium mit der Tragweite des dargestellten Ereignisses und verleiht dem weltweit verbreiteten Motiv eine fragmentierte Spannung, welche die Unsicherheit der zeitgenössischen politischen Wahrnehmung zum Ausdruck bringt.
Thomas Bayrle – And Back Again – Helke II, 1991
Ausgehend von den Bildsprachen und Verfahren des Grafikdesigns, der Werbung und der maschinellen Weberei entwickelte Thomas Bayrle in den 1960er Jahren seine Kompositionstechnik der Superform, bei der durch die vielfache Wiederholung und Verzerrung eines Motivs ein Gesamtbild entsteht. Mit dieser Methode verwandelt er Darstellungen von massenproduzierten Objekten und infrastrukturellen Netzen in plastisch wirkende Porträts. And Back Again – Helke II (1991) zeigt ein Bildnis von Bayrles Frau, dessen einzelne Bestandteile jedoch separiert sind und in der Fläche verbleiben. Die Komposition ist nicht mehr unmittelbar als menschliches Abbild erkennbar und nimmt eine für den Künstler seltene Abstraktion an, die den Blick in ein optisches Verwirrspiel führt.
Andreas Eriksson – Lidköping No. 10, 2024
In Lidköping No. 10 (2024) greift Andreas Eriksson den Bildaufbau seiner Gemälde auf und modifiziert ihn, indem er deren charakteristische Farbfelder in einen handgewebten Wandteppich aus Leinen und Seide übersetzt. Das Werk ist mit einem organischen, fransenartigen Vorhang versehen, dessen lange Fäden der Tiefe der Komposition entspringen und kaskadenartig nach unten fallen, wodurch sie die strukturierte Oberfläche teilweise verdecken. Sie scheinen sich von ihrem Ursprung zu lösen, entpuppen sich aber bei näherer Betrachtung als methodische Elemente entlang eines unsichtbaren Rasters und unterstreichen die geheimnisvolle Wirkung von Erikssons Tapisserien als textiler Nachhall seiner Malereien.
Mario García Torres – When Stillness Produces Beautiful Moments, n.d.
Mario García Torres’ skulpturale Arbeit When Stillness Produces Beautiful Moments (n.d.) ist eine Hommage an den italienischen Künstler Alighiero Boetti, dem er bereits mehrere Projekte gewidmet hat. Hier bezieht sich García Torres auf dessen Selbstporträt Autoritratto (Mi Fuma Il Cervello) (1993–1994), in dem Boetti sich mit einem bronzenen Gartenschlauch Wasser auf den Kopf spritzt, wo Heizelemente es verdampfen lassen. García Torres reduziert die Skulptur auf diesen Schlauch und schafft damit ein Denkmal sowohl an die Abwesenheit, die Boetti mit seiner großen Wirkung hinterlassen hat, als auch an das Fließen und die Flüchtigkeit des Denkens.
Isa Genzken – Wolfgang, 1998
Wolfgang (1998) von Isa Genzken gehört zu einer Reihe von skulpturalen Arbeiten, die sich in Anlehnung an moderne Bauwerke mit spiegelnden Glasfassaden als Stelen aus Metall- und Holzplatten über die Betrachtenden erheben. Hier kombiniert die Künstlerin fein gemaserte Holzbretter in warmen Farbtönen mit transparenten Gitterplatten, deren Moiré-Effekt die strenge Struktur des rechtwinkligen Solitärs auflöst. Damit konterkariert Genzken die Symbole der Moderne durch die Wahrnehmung und das Erscheinungsbild des Individuums.
Shilpa Gupta – Untitled, 2016
In den zwölf Bildern von Shilpa Guptas fotografischer Arbeit Untitled (2016) ziehen dichte Rauchschwaden durch verschiedene Innenräume. Die wolkenartigen Gebilde nehmen buchstäblich unfassbare Formen an und entziehen sich dem Fokus, wenn sie an den Rändern der einzelnen Kompositionen auftauchen. Wie in vielen anderen Werken thematisiert Gupta auch in Untitled den paradoxen Charakter starrer Definitionen, insbesondere die Willkür, mit der Grenzen oft gezogen und durchgesetzt werden – der Rauch bewegt sich frei im häuslichen Raum und dekonstruiert durch seine bloße Gegenwart materielle und immaterielle Trennungen.
Louise Lawler – What Is Painting (swiped), 2022/2023
Louise Lawlers What Is Painting (swiped) (2022/2023) ist Teil einer Serie von Fotografien, deren Motive durch die Bewegung der Kamera mit offenem Verschluss verzerrt wurden. Hier verschwimmen die helle Leinwand und die dunkle Schrift von John Baldessaris What Is Painting? (1966–1968). Durch diese räumliche Verschiebung entsteht ein Dialog mit dem Ansatz des Konzeptkünstlers. Mittels Appropriation und Neuinterpretation konterkariert Lawler die halb ironische Botschaft des fotografierten Gemäldes und hinterfragt ihrerseits die Bedingungen von Autorschaft, institutioneller Präsentation und Kanonisierung.
Sharon Lockhart – Untitled, 2023
Sharon Lockharts Untitled (2023) zeigt eine Winterlandschaft mit sanft ansteigender Anhöhe, die das Meer dahinter erahnen lässt. Die hohen Gräser sind mit einer dünnen Schneeschicht bedeckt, unter der sie sich zum Boden wölben, während der darüber liegende Nebel die Welt hinter einem leeren Himmel verbirgt. Meeres- und Küstenlandschaften sind wiederholt auftauchende Sujets im Werk Lockharts, die damit die Ungewissheit sowie unerbittliche und doch lebenserhaltende Kräfte reflektiert.
Tobias Rehberger – Utagawa Kunisada Shiko no nagame 1829 I, 2015
Tobias Rehbergers farbenreiches Wandbild Utagawa Kunisada Shiko no nagame 1829 I (2015) entzieht sich der unmittelbaren Wahrnehmung, bis es aus der Distanz oder auf einem Bildschirm betrachtet wird. Dann verbinden sich die quadratischen, pixelartigen Module zu dem Motiv eines erotischen japanischen Shunga-Holzschnitts. In diese Darstellung ist eine plastische Vase integriert, die sowohl mit dem Hintergrund verschmilzt als auch durch ihre Dreidimensionalität hervorsticht – ein Spiel mit der Instabilität des Blicks, bei dem der räumliche Kontext die Wirkung des Bildes bestimmt und ständig verändert.
Tomás Saraceno – Wayra 246, 2025
Tomás Saracenos Wayra 246 (2025) aus massiven Glaspolyedern scheint als Duo wolkenartiger Cluster an der Schnittstelle von Luft, Wasser und Erde zu existieren. Die einzelnen Körper der scheinbar schwebenden Strukturen werden durch ihre gemeinsamen Facetten zusammengehalten, was Fragen nach dem Verständnis von Raum, Ordnung und Symbiose aufwirft. Während der Künstler damit den statischen Charakter skulpturaler Gefüge mit der organischen Entwicklung natürlicher Systeme kontrastiert, verweist die verschwommene Transparenz der Objekte auf wechselseitige Beziehungen und die mögliche Auflösung von Grenzen.
Simon Starling – Pin Board Painting, 2021
Simon Starlings zweiteilige Installation Pin Board Painting (2021) nimmt eine Anfang des 20. Jahrhunderts in der damaligen Berliner Nationalgalerie (heute Alte Nationalgalerie) aufgenommene Installationsansicht zum Ausgangspunkt und vergrößert die kleine Reproduktion durch eine Nachbildung mit Stecknadeln. Diese sind so platziert, dass ihre runden schwarzen Köpfe die Art der Bildwiedergabe eines Offsetdrucks imitieren. Neu fotografiert und auf die Größe verkleinert, die der Künstler in der Quelle vorfand, fügen sich die Stecknadeln visuell zu einer Darstellung zusammen, die wie die ursprüngliche Installationsfotografie erscheint.
Pae White – Noisy Calm, November, 2025
Mit ihrem Wandteppich Noisy Calm, November (2025) knüpft Pae White an ihre Praxis an, ephemere Konstellationen in Textilien zu übertragen und damit die Wahrnehmung herauszufordern. In einer Neuinterpretation und Weiterentwicklung des traditionsreichen und arbeitsintensiven Webprozesses entwirft sie ein digitales Motiv, um es anschließend mit einem industriellen Jacquard-Webstuhl umzusetzen, wodurch Medium und Sujet in einen Dialog treten. Hier fängt White mit Baumwoll- und Polyesterfäden die flüchtige und unbeständige Atmosphäre einer Seelandschaft ein. Hinter tief hängenden Nebelschwaden beginnt sich das strukturierte Bild aufzulösen, schwebend zwischen Figuration und Abstraktion, undurchdringlich und kaum greifbar.
Vernissage: Freitag, 2. Mai, 18 – 21 Uhr
Ausstellungsdaten : Samstag, 3. Mai – Samstag, 16. August 2025
Gallery weekend Berlin: Samstag, 3. Mai 11 – 19 Uhr bis Sonntag 4. Mai 11 – 18 Uhr
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Bildunterschrift Titel: Shilpa Gupta, Untitled, 2016 digital photograph printed on Photo Rag paper 12 parts: 43 x 33 cm each © Shilpa Gupta. Courtesy the artist and neugerriemschneider, Berlin. Photo: Jens Ziehe, Berlin.
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