post-title Tobias Zielony | The citizen | KOW | 30.04.-12.06.2016

Tobias Zielony | The citizen | KOW | 30.04.-12.06.2016

Tobias Zielony | The citizen | KOW | 30.04.-12.06.2016

Tobias Zielony | The citizen | KOW | 30.04.-12.06.2016

bis 12.06. | #0516ARTatBerlin | KOW zeigt ab dem 30. April 2016 den Künstler Tobias Zielony mit der Ausstellung „The citizen“.

Wenn nichts mehr geht, bleibt oft nur die Flucht nach vorn. Für manche führt sie nach oben: aufs Dach, über die Berge, auf die Barrikaden. Wo Körper und Stimmen sich unerwartet erheben und exponieren, da beginnt der Aufstand des politischen Subjekts, das eine Grenze überschreitet, die Unsichtbarkeit von Sichtbarkeit und Ungehörtes von Gehörtem trennt. Dass man diese Grenze über Dächer und Berge hinaus auch im Orbit überschreiten kann, brachte Tobias Zielony auf die Fährte von George Clooney, dazu aber später.
Im September 2014 okkupierte eine Gruppe von Geflohenen das Dach der Berliner Gerhard-Hauptmann-Schule, um für ihre Selbstbestimmungsrechte zu protestieren. Sie waren Teil einer kollektiven Bewegung, die politische Forderungen von Migrantinnen und Migranten in die deutsche Öffentlichkeit trug und teils erfolgreich durchsetzte. Einige Aktivisten dieser Bewegung hat Tobias Zielony seit Februar 2014 in Hamburg und Berlin begleitet. Seine Fotografien der Dach-Okkupation, Bilder von Napuli Langa, die auf einen Baum kletterte und dort fünf Tage ausharrte, um gegen die Räumung des Flüchtlingscamps auf dem Kreuzberger Oranienplatz zu protestieren, Aufnahmen auf St. Pauli, sie alle arbeiten mit an einer Erzählung über die politische Subjektivität der Flüchtlinge, über ihren Status als Bürger.
Menschen am Rande gesellschaftlicher Akzeptanz lichtet Zielony in Augenblicken ab, da sie vor seiner Kamera ihr Selbstbild suchen. In der Distanz zwischen dem Fotografen und seinem Gegenüber liegt die Komplizenschaft einer geteilten Ungewissheit darüber, was sich zeigt, wenn jemand (sich) von jemandem ein Bild macht. Handelt es sich um Bilder von Geflohenen, die um ihre Anerkennung und Sichtbarkeit kämpfen,wird diese Ungewissheit nicht geringer, und sie wird es auch nicht, wenn die Bilder von einem anerkannten deutschen Fotografen stammen. So nahm Zielony Abstand vom fotografischen Einzelbild und seinem üblichen Rahmen, brachte seine Aufnahmen in Umlauf und machte sie zum Gegenstand eines vielstimmigen Kommentars über die Protagonisten der Flüchtlingsproteste und ihre öffentliche Darstellung.
Er nutzte die Reisefreiheit, die Bilder im Gegensatz zu Menschen auf dem Weg von Süden nach Norden genießen, in umgekehrter Richtung. Zwölf Tageszeitungen in Uganda, Nigeria, Kamerun, Ghana und dem Sudan folgten seiner Einladung, die Bilder aus Hamburg und Berlin zum Anlass zu nehmen für journalistische Beiträge über Flucht, Aufstand und Fotografie. Beiträge, die Zielonys Fotos je neu rahmten. Auf der VenedigBiennale standen sie 2015 im Zentrum seines Beitrags für den deutschen Pavillon, ergänzt durch eine von ihm selbst herausgegebene Zeitung mit Texten und Interviews der Protagonisten seiner Bilder. Letztere verteilte Zielony in einer offenen Anordnung der Motive über einen Zyklus von zehn fotografischen Wandtafeln. In seiner vierten Ausstellung bei KOW ergänzt Zielony das Venedig-Projekt THE CITIZEN mit zwei neuen Arbeiten.
Für das Berliner Gorki Theater entstand 2015 die Installation STORYBOARD (MONUMENTS MEN). In waghalsiger Verkürzung, die mit konspirationstheoretischen Formeln flirtet, spannt Zielony auf vier Vitrinentischen einen Bogen von der Nazi-Raubkunst über neudeutsche Museums- und Restitutionspolitik bis hin zu George Clooneys Anti-Genozid-Kampagne und seiner Nespresso-Werbung sowie Napuli Langas Baum-Besetzung am Oranienplatz. Hängt das alles miteinander zusammen? Irgendwie schon. 2013 drehte Clooney – unter anderem in den Räumen des Berliner Palais am Festungsgraben, für die Zielonys Arbeit entstand – seine Heldengeschichte “The Monuments Men” über eine amerikanische Spezialeinheit zur Rettung der vom Naziregime erbeuteten Kunstschätze. Schätze, die heute zum Teil die Stiftung Preußischer Kulturbesitz verwahrt (Stichwort: Humboldtforum).
Clooneys Einsatz für die Menschheit reicht über die Leinwand hinaus ins All – und wieder zurück. Sein Satellite Sentinel Project finanziert seit 2010 Satellitenaufnahmen zur Dokumentation von Völkerrechtsverbrechen. 2013 schwebte Clooney dann in Gravity zwischen bedrohlichem Satellitenschrott durch den Weltraum. So schwindelerregend seine Metamorphosen vom Film- zum Charityhelden und von der Nestlé – Werbeikone zum politischen Agenten, so nüchtern die Kommentare des
Hausmeisters des Palais am Festungsgraben, der in Zielonys Installation über Clooneys Dreharbeiten vor Ort berichtet. Magdi Lel-Gizouli, einer der Autoren in Zielonys CitizenProjekt, fügt dem komplexen Geschehen weitere Verbindungslinien hinzu: zwischen deutschen Migrationsgesetzen und ethnografischen Sammlungspräsentationen, den Flüchtlingsprotesten und dem Bau einer deutschen Waffenfabrik in seinem Heimatland Sudan. Real? Fiktiv? Ein Storyboard für eine Geschichte über die Wirklichkeit.
So fiktiv manche Geschichte klingt, so real manche Ängste und Ereignisse, die hinter ihr stehen. 2014 berichteten die Einwohner einer Flüchtlingsunterkunft in einem ehemaligen Gymnasium in Berlin-Moabit Tobias Zielony, sie hätten des Nachts in den Duschräumen die Stimmen Verstorbener gehört, man habe dort Geister gesehen. Unweit der Schule war einst eine der größten Synagogen Berlins, und unweit von ihr fuhren die Züge ab, die jüdische Bürger in Konzentrationslager brachten. Zielony machte Interviews und Filmaufnahmen, die er nun zusammenführt (GHOSTS, 2016). Manche Stimmen melden sich unerwartet, für manche unerwünscht, und nicht immer glaubt man ihnen. Zielonys Film hält die Angst und die Sorge fest, die Schwelle zwischen vergangenen und gegenwärtigen Ereignissen könnte niedriger sein, als der gesunde Menschenverstand sich vorstellen mag.
Text: Alexander Koch

Vernissage: Freitag, 29. April 2016, 18 – 21 Uhr

Ausstellungsdaten: Samstag, 30. April bis Sonntag, 12. Juni 2016

Brunch im Rahmen des Gallery Weekend Berlin: Samstag, 30. April 2016, 10 – 13 Uhr

[maxbutton id=“146″]

 

Bildunterschrift: TOBIAS ZIELONY, The Citizen, 2015 © Tobias Zielony, Courtesy of Tobias Zielony and KOW, Berlin

Ausstellung Tobias Zielony – KOW – Kunst in Berlin ART at Berlin

 

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

Meisterwerke in Berlin

Viele beeindruckende Meisterwerke der Kunst aller Epochen können Sie in den Berliner Museen besuchen. Aber wo genau findet man Werke von Albrecht Dürer, Claude Monet, Vincent van Gogh, Sandro Botticelli, Peter Paul Rubens oder die weltberühmte Nofretete? Wir stellen Ihnen die beeindruckendsten Meisterwerke der Kunst in Berlin vor. Und leiten Sie mit nur einem Klick zu dem entsprechenden Museum. Damit Sie Ihr Lieblingsmeisterwerk dort ganz persönlich live erleben und in Augenschein nehmen können.

Lädt…
 
Send this to a friend