bis 18.10. | #4448ARTatBerlin | OFFICE IMPART zeigt ab Donnerstag, 05. September 2024 die Ausstellung Selection des Künstlers Jan Robert Leegte.
Die Sprache des Digitalen
Auf der Grundlage des Werks von Jan Robert Leegte
In Writing Degree Zero (1953) untersucht der Semiotiker Roland Barthes den Formalismus der Sprache. Er konzentriert sich auf die Eigenschaften der Sprache, die über die eines Kommunikationsmittels und einer direkten Ausdrucksform hinausgehen. Wörter werden zu Bausteinen, die in verschiedenen Konstellationen und mit unterschiedlichen Bedeutungen wiederkehren. Barthes ist auch der berühmte Verfechter des metaphorischen Todes des Autors, der den (geschriebenen) Text über seinen Autor hinaus emanzipiert. Seiner Ansicht nach ist ein Text ein Objekt zwischen Sender und Empfänger und unterliegt daher verschiedenen Interpretationen. Ein Text kann nach seiner Entstehung einen autonomeren Status erlangen, der von seinem Schöpfer getrennt ist. Diese beiden Ideen haben in der bildenden Kunst ihren Niederschlag gefunden, zum Beispiel in der Suche nach der Spezifität des Mediums Malerei in den 1950er Jahren und danach. Hier machten sich die Künstler daran, ein Gemälde als das zu zeigen, was es ist: nichts weiter als Farbe auf Leinwand, ohne Illusion. „Painting Degree Zero“ taucht sogar als wörtlicher Verweis auf Barthes in der Praxis des französischen Künstlers Daniel Buren auf. Die Bedeutung eines kulturellen Artefakts verschiebt sich von einer einzigen, vom Schöpfer „beabsichtigten“ Bedeutung zu einem sich ständig verändernden Bedeutungsfeld, einer Dreiecksbeziehung zwischen Schöpfer, Kunstwerk und Betrachter.
In seiner Praxis erforscht Jan Robert Leegte seit den 1990er Jahren die Materialität alltäglicher digitaler und Online-Umgebungen und -Kulturen. Er entzieht den Elementen dieser virtuellen Realitäten ihren ursprünglichen Kontext und ihre Bedeutung. Wie ein Semiotiker des digitalen Zeitalters reduziert er das Digitale auf einen Baustein und erforscht die Funktionsweise seiner verschiedenen Elemente. In seiner fortlaufenden Serie JPEG (ab 2022) präsentiert Leegte nicht das Bild als JPEG, sondern das JPEG selbst, als Kompressionsverfahren und Bilddateityp. Und dann ist da noch der Scroll-Balken, der seit 1997 in vielen Kontexten und Formen in Leegtes Praxis auftaucht – sowohl im virtuellen als auch im physischen Bereich, als Website und als Skulptur. Der Scroll-Balken oder Bildlaufleiste ist ein sich wandelndes Alltagsobjekt, wie die einzelnen Wörter in Barthes‘ Analyse, das in unterschiedlichen Konstellationen immer wieder neue Bedeutungen – und Erscheinungen – annimmt. Eine kulturelle Konstruktion ohne identifizierbaren Autor. Wörter existieren auch außerhalb des literarischen Bereichs, so wie die Bildlaufleiste – und die Pixel oder Einsen und Nullen, aus denen sie zusammengesetzt ist – außerhalb des Bereichs der Kunst funktioniert. Die Enthüllung von Materialität und das Abstreifen von Bedeutung scheinen wiederum dem Bereich der Literatur und der Kunst vorbehalten zu sein.
JPEG (0xc5475b50c18592d0ae), 2023, ChromaLuxe print in aluminium frame, 100 x 100 cm, Unique
courtesy the artist, OFFICE IMPART and Upstream Gallery
Der Vergleich zwischen Sprache und digitaler Kunst wird oft gezogen; die Sprache steht durch die Programmierung im Mittelpunkt des digitalen Bereichs. Aber es gibt noch mehrGemeinsamkeiten: Sowohl Sprache als auch digitales Material haben Funktionen außerhalb des künstlerischen Kontextes, viel mehr als klassische visuelle Kunstformen wie die Malerei. Sie sind nicht in erster Linie ein Mittel des künstlerischen Ausdrucks. Sie sind in erster Linie ein Mittel der Kommunikation, das durch die Kunst, einschließlich der bildenden Kunst und der Literatur, erforscht und erweitert wird. Oder wie es Barthes in Writing Degree Zero ausdrückt: „Die Literatur wird nicht mehr als ein sozial privilegiertes Kommunikationsmedium erlebt, sondern als eine Sprache der Konsistenz, eine Sprache voller verborgener Tiefen, die sich als Traum und Bedrohung zugleich präsentiert. Diese Worte treffen unmittelbar auf die digitale Kunst und die Praxis von Leegte zu. Digitale Mittel werden hier nicht als Kommunikationsmittel eingesetzt, sondern als künstlerische Ausdrucksform, als eine Sprache mit eigenen Regeln und Gesetzen. Auch die utopischen und dystopischen Seiten des Internets, des Kommunikationsmediums, das auch als künstlerisches Medium fungiert, klingen in Barthes‘ Beschreibung mit.
Leegte sucht nach alltäglichen Objekten und Konzepten im digitalen Bereich und verschiebt sie in einen anderen Bereich – und umgekehrt. Dieses „Drag and Drop“ – Worte, die mit der Einführung des Virtuellen ebenfalls an Bedeutung gewonnen haben – schafft eine Transformation von einer semantischen Realität in eine andere. Indem Leegte digitale Elemente isoliert, löst er sie aus ihrer sich ständig verändernden Umgebung heraus und monumentalisiert sie auf stille Weise. Durch das JPEG, die Bildlaufleiste, den Button und des NFTs nimmt er den Besucher mit auf eine Reise durch kunsthistorische Referenzen und Methoden. Leegte erforscht das Digitale als eine künstlerische Sprache, die sowohl in der physischen als auch in der Online-Realität unzählige Bedeutungen hat.
Jan Robert Leegte (geboren 1973, Niederlande) ist einer der ersten niederländischen Künstler, die seit den 1990er Jahren im und für das Internet arbeiten. Im Jahr 2002 verlagerte er seinen Schwerpunkt auf die Umsetzung digitaler Materialien im Kontext des physischen Galerieraums und versuchte, eine Brücke zwischen der Welt der Online-Kunst und der Welt der Galeriekunst zu schlagen, indem er Drucke, Skulpturen, Installationen, Zeichnungen und Projektionen anfertigte und dabei an historische Bewegungen wie Land Art, Minimalismus, Performancekunst und Konzeptualismus anknüpfte. Als Künstler erforscht Leegte die Position der neuen Materialien, die der (vernetzte) Computer hervorbringt. Photoshop-Auswahlmarkierungen, Bildlaufleisten, Google Maps, Code und Software werden seziert, um ihre ontologische Natur zu verstehen. Der vernetzte Computer ist die zentrale Muse in meiner Arbeit, in der ich all seine Wunder und Eigenheiten erforsche. „Ich benutze keine Software, um Kunst zu machen, ich mache Kunst über Software“.
Vernissage: Donnerstag, 05. September 2024, 18-21 Uhr
Ausstellungsdaten: Donnerstag, 05. September – Freitag, 18. Oktober 2024
Öffnungszeiten während der Berlin Art Week: Mittwoch – Samstag, 11. – 14. September, 12-18 Uhr, und nach Vereinbarung.
Bildunterschrift Titelbild: Selection, Exhibition views OFFICE IMPART, 2024, Courtesy the artist and OFFICE IMPART, Photo: Marjorie Brunet Plaza
Ausstellung Jan Robert Leegte – Galerie OFFICE IMPART | Zeitgenössische Kunst in Berlin | Contemporary Art | Ausstellungen Berlin Galerien | ART at Berlin