post-title Ivana de Vivanco | Tempel der Umkehrung | 68 projects | 10.09.-29.10.2022

Ivana de Vivanco | Tempel der Umkehrung | 68 projects | 10.09.-29.10.2022

Ivana de Vivanco | Tempel der Umkehrung | 68 projects | 10.09.-29.10.2022

Ivana de Vivanco | Tempel der Umkehrung | 68 projects | 10.09.-29.10.2022

bis 29.10. | #3587ARTatBerlin | 68 projects präsentiert ab 10. September 2022 die Ausstellung „Tempel der Umkehrung“ der Künstlerin Ivana de Vivanco.

die Ausstellung „Tempel der Umkehrung“ ist die erste Einzelausstellung der chilenisch-peruanischen Künstlerin Ivana de Vivanco in 68projects Berlin.

„In der Ausstellung werde ich die Galerie in einen „Tempel der Umkehrung“ verwandeln, in dem umstrittene Autoritätsfguren unserer Gesellschaft herunterfallen und die bislang Unterdrückten sich erheben“, umschreibt Ivana de Vivanco ihre Motivation für die Ausstellung: „Der Ausstellungsraum wird so verändert, dass die Besucher*innen vergessen, dass sie sich einer Galerie befnden.“

Die Künstlerin hinterfragt in ihren Werken vorgefasste Vorstellungen von Geschlecht, westlicher Geschichte und Kolonialismus sowie Fragen von Macht und Ohnmacht. Ihre Werke sind szenische Darstellungen in kleinen, konzentrierten Räumen, optisch ansprechende aber unbequeme Kuriositäten, die eine unheimliche Atmosphäre voller Metaphern und gesellschaftspolitischer Bezüge heraufbeschwören. Die Erweiterung der Bilder mit skulpturalen und installativen Elementen fügt den Werken eine zusätzliche Dimension hinzu und lädt das Publikum ein, Teil ihrer bizarren Pantomimen zu
werden.

Ivana de Vivanco studierte Kunst bei Gonzalo Díaz Cuevas an der Universidad de Chile und an der HGB in Leipzig bei Oliver Kossack. 2016 schloss sie ihr Meisterschülerin-Studium bei Annette Schröter in der HGB ab. Seit 2020 unterrichtet sie im zweiten Jahr Malerei an der HGB.

Werke von Ivana de Vivanco waren kürzlich im Museum of Contemporary Art in Santiago zu sehen, in der Kunsthalle Darmstadt, in 68projects Berlin, bei The RYDER Projects in Madrid, SCAN Projects in London, in der Galerie Anita Beckers in Frankfurt sowie in der von Christoph Tannert und Mark Gisbourne kuratierten Ausstellung „Dissonance. Plattform Germany“ im Künstlerhaus Bethanien. 2021 erwarb das Perez Art Museum Miami (PAMM) eines ihrer Werke für seine Sammlung. Das Werk Ivana de Vivancos wurde unter anderem in den Publikationen „Dissonance – Platform Germany“ (DCV) und „100 Painters of Tomorrow“ (Thames & Hudson) veröfentlicht sowie im Elephant Magazine, in Something Curated, im Juxtapoz Magazine, im Schirn Mag, in Artishock oder in Le Quotidien de L’Art vorgestellt.

Wolfgang Ullrich
Ivana de Vivanco: Tempel der Umkehrung

Man sollte es ernst nehmen, dass Ivana de Vivanco ihre Ausstellung als einen Tempel bezeichnet.
Ofenbar genügt es ihr nicht, dass Bilder einfach betrachtet, dass über sie gesprochen oder dass sie gekauft werden. Vielmehr stellt sie an ihre Werke den Anspruch, das zu lei ten, was sonst von Kultobjekten und religiösen Praktiken erwartet wird. Was sie will, ist also durch große Worte wie ‚Heilung’ oder ‚Sinnstiftung’ zu umschreiben. Die nähere Bestimmung des Tempels als „Tempel der Umkehrung“ („Temple of Inversion“) fasst es etwas genauer und bleibt zugleich ganz allgemein: Es geht der chilenisch-peruanischen Künstlerin darum, Kräfte zu wecken, die Veränderung ermöglichen.

Wie aber soll das geschehen? Gewiss genügt es nicht, traditionelle Formen von religiöser Kunst einfach zu zitieren. Vielmehr müssen sie, sofern man sich auf sie bezieht, zurüc gewonnen und neu gefüllt werden. Exemplarisch macht de Vivanco dies mit der christlichen Gattung des Triptychons.
Diese spielte vor allem in der religiösen Kunst vom Spätmittelalter bis zur Gegenreformation eine wichtige Rolle, und die Hierarchie zwischen der größeren Mitteltafel und den kleineren Seitentafeln wurde etwa genutzt, um himmlische und irdische Motiven voneinander zu unterscheiden oder um die zeitliche Dramaturgie der Heilsgeschichte zu veranschaulichen. Bei ihrem Triptychon „Este oro comemos“ greift Ivana de Vivanco die hierarchische Struktur bereits dadurch auf, dass sie die beiden Außentafeln sehr schlicht hält: ohne Farben, wie eine bloße Vorzeichnung, die zudem korrigiert erscheint, was den Charakter des Unfertigen verstärkt. Die Mitteltafel leuchtet hingegen in intensiven Farben, hier ist jede Form klar defniert und kommt entsprechend nachdrücklich zur Geltung. Der ästhetischen Diferenz der Tafeln korrespondiert aber eine kompositorisch-inhaltliche Verwandtschaft. So tauchen zwei Figuren, die sich auf der Mitteltafel einander zuwenden und, begleitet von markanten Gesten, einen Teller austauschen, auf den Seitentafeln ganz ähnlich wieder auf. Hat de Vivanco auf der Mitteltafel also eine Skizze weitergeführt, die auf den Setentafeln, in zwei Hälften geschnitten, zu sehen ist?

Tatsächlich haben die Seitentafeln ein eindeutig identifzierbares Vorbild. Dieses fndet sich in einer der wichtigsten Chroniken des frühen 17. Jahrhunderts, die von Huamán Poma de Ayala, einem hochrangigen Inka, stammt, der darin die Geschichte seines Volkes schildert, aber vor allem auch dessen Kolonisierung durch die Spanier und die damit verbundenen Ungerechtigkeiten und Missstände im Vizekönigreich Peru – also Ivana de Vivancos Heimat – dokumentiert. Neben dem Text enthält die Chronik fast 400 Zeichnungen, die das Geschriebene keineswegs nur illustrieren, sondern als umso schärfere und pointiertere Geste des Widerstands gegenüber der Conquista zu deuten sind. So ist auf der von de Vivanco ausgewählten Zeichnung die linke Figur als gegenüber der rechten höherrangig dargestellt: Sie sitzt auf einem Schemel, direkt vor dem Tor eines größeren Hauses, das damit als ihr Eigentum erscheint. Dagegen kniet die andere Person auf dem Boden, sie wirkt in der ungeliebten Position eines Bittstellers. Doch stellt gerade sie, wie die Bildlegende der Chronik ausweist, einen spanischen Eroberer dar, während die sitzende Figur einen Inka zeigt.

Die Zeichnung des 17. Jahrhunderts bietet damit ein ebenso frühes wie erstaunliches Be spiel für eine Ikonografe des Empowerment: Die unterjochten Inkas zeigen sich selbst nicht als Opfer, sondern stark und eigenständig. Die Zeichnung soll sie dazu motivieren, sich gegen erlittenes Unrecht zu wehren, soll ihren Stolz und ihr Selbstbewusstsein stimulieren. Damit soll nicht nur an bessere vergangene Zeiten erinnert, sondern vor allem eine bessere Zukunft beschworen werden. Und indem Ivana de Vivanco diese Zeichnung aufgreift und dank des großen Formats und der Farben, vor allem aber als bedeutsame Mitteltafel eines Triptychons aufwertet, steigert sie die empowernde Intention nochmals eigens. Die Umkehrung realer Machtverhältnisse wird dadurch – passend zum Titel der Ausstellung – umso mehr zum Programm.

Dabei geht es de Vivanco aber nicht mehr nur um den speziellen historischen Konfikt. Er fungiert für sie vielmehr als Blaupause für vergleichbare Konfikte. So ist die Kleidung der Figuren und ihr Ambiente auf ihrem Gemälde zeitgenössisch-zeitlos, und in etlichen Details spielt de Vivanco ihre Möglichkeiten als Malerin großartig aus, um die Bildaussage zu verstärken. Was für einen Gesichtsausdruck hat etwa die linke Figur! Man spürt einerseits noch Trauer und Hadern über erlittene Demütigungen, aber der Glanz in den Augen zeugt vor allem von Lebendigkeit, Willenskraft und enormen Energien. Und man wird angeblickt von diesen Augen, damit auch direkt aufgefordert, sich zu verbünden. Nichts anderes aber meint Empowerment: aus entmutigten Einzelnen wird eine Community, in der sich alle gegenseitig Mut zusprechen.

Dagegen ist der Blick der anderen Figur stumpf. Sie mag noch einen Hut tragen und bes ser gekleidet sein, verliert aber bereits ihre Macht, vereinsamt. Schließlich gibt de Vivanco sie sogar dem Spott preis: An den Oberarmen und Oberschenkeln ist jeweils eine Zone deutlich hellerer Haut zu sehen – dies ein Indiz dafür, dass die Figur normalerweise mehr Kleidung trägt. Hat sie also nicht schon ein Stück weit die Kontrolle über sich verloren, wenn sie so nachlässig auftritt? Sie mag Goldnuggets auf dem Teller überreichen und mit ihrem Reichtum protzen, mag sogar behaupten, ihresgleichen würde das Gold essen (das titelgebende „Este oro comemos“ – „Dieses Gold essen wir“ – hat de Vivanco ebenfalls von der originalen Zeichnung übernommen), aber wenn sie es wirklich täte, würde sie daran ersticken.

Nutzt Ivana de Vivanco die Gattung des Triptychons, ja den besonderen Geltungsanspruch der Mitteltafel hier also dazu, um Partei zu ergreifen und dem bereits wankenden Aggressor gleichsam noch den Todesstoß zu versetzen, so ist dieser auf anderen Bildern sogar direkt in Szene gesetzt. Auf dem Gemälde „Santiago-Rayo“ sieht man einen Reiter vom Pferd fallen – vom Blitz getrofen. Ist sein Sturz göttliche Fügung? Oder ein Zufall, der einer Frau zugutekommt, die sich ihm, also dem Heiligen Jacobus, in den Weg gestellt hatte, ihn somit ihrerseits stoppen wollte? Ihre feurig roten Strümpfe zeugen von ihrer Entschlossenheit – und stehen im Komplementärkontrast zu den grünen Beinkleidern des Gestürzten. Aufällig ist sein Gesichtsausdruck: Vielleicht schreit er, aber man kann den geöfneten Mund genauso als Lachen deuten. Sollte er gar froh, ja erleichtert darüber sein, seine Macht verloren zu haben? Eine schillernde Figur?

Der Heilige Jacobus war in Südamerika ehedem Symbolfgur der Spanischen Kolonialherren, die in seinem Namen Santiago de Chile gründeten. Damit stand er für eine Macht, die der indigenen Bevölkerung feindlich gegenüberstand. Entsprechend wollte diese das von ihm repräsentierte Herrschaftssystem stürzen und loswerden. Doch nach und nach änderte sich seine Rolle: Er wurde zum Schutzheiligen der Unterdrückten, ja wechselte, tatsächlich schillernd, gleichsam die Seiten. Vielleicht geschah das, weil die christianisiertenGläubigen sich mit St. Jacobus als Märtyrer identifzieren konnten, der er ja auch und sogar zuerst war, vielleicht hoften sie aber auch, seine Macht auf sich selbst übergehen lassen zu können, wenn sie ihn bei sich aufnahmen.

Malt Ivana de Vivanco einmal den Heiligen, der gerade seine Macht einbüßt, sich über seine neue Rolle aber schon zu freuen scheint, so zeigt ein anderes Gemälde („Warmi Pachakutik“) einen etwas späteren Moment. Die indigene Frau hat den einstigen Feind hier schon als Gast bei sich zuhause. Sie serviert ihm ein Getränk, doch sitzen die beiden nicht artig an einem Tisch, vielmehr verschlingen sich beider Körper auf einem Bett. Der Mann krümmt sich zusammen, ist nackt – was sowohl bedeutet, dass er jeglichen Machtstatus verloren hat, als auch, dass die Situation im nächsten Augenblick in ein Liebesspielumschlagen könnte. Wird die von oben über ihn kommende Frau sich dann auch ausziehen? Oder wird sie den Mann doch lieber als Gefangenen betrachten und sich an ihm rächen? Angesichts dieser höchst rafnierten Ikonografe scheint beides gleichermaßen möglich, und gebannt sucht man nach Indizien dafür, wie sich die Szene wohl weiter entwickelt.

Ist man bei den beiden letztgenannten Bildern in einer Betrachterposition, geradezu Augenzeuge und Voyeur des aufregenden, geschichtsträchtigen Geschehens einer Umkehrung von Macht, so darf man bei „Ekeka“, einem weiteren Gemälde de Vivancos, darauf hofen, selbst ein bisschen mächtiger aus dem „Tempel der Umkehrung“ herauszukommen. Das Bild ist hier eher schon ein Objekt, sind doch, im Unterschied zu den anderen Gemälden, auch die Außenränder der Leinwand bemalt. Vor allem aber reicht das Bild über seine rechteckige Fläche hinaus, da auf ihm gemalte Goldketten sich als reale Ketten fortsetzen, an die ein Paar ebenfalls goldene Füße angebunden sind, die auf dem Boden stehen. Dass hier etwas zuerst nur Gemaltes – etwas Fiktives – ganz wirklich wird, veranschaulicht aber den Anspruch dieses Artefakts: Mit ihm wird, wie der Titel signalisiert, auf einen.

Kult Bezug genommen, auf Ekeko, eine für Wohlstand und Glück zuständige Gottheit, die in diesem Fall jedoch in einer weiblich gewordenen Variante auftaucht. Ekeko-Figuren und -Bilder sind in Ländern wie Peru und Bolivien dafür zuständig, etwas, das zuerst nur als Wunschbild existiert, in Erfüllung gehen zu lassen.

Wurden einem Ekeko traditionell diverse Gegenstände umgehängt, die symbolisierten, was man zu haben wünschte, ja woran man das eigene Wohlergehen knüpfte, war die Figur also mit Geld, Schmuck, einem Haus oder Essen bestückt, so fnden sich auf de Vivancos Bild noch einige andere Gegenstände, etwa ein Megaphon oder ein Regenbogenobjekt. Diese aber gehören zur Grundausstattung für aktivistische Bewegungen, für Demos auf der Straße, zeugen also ihrerseits vom Wunsch, bestehende Machtverhältnisse aufzubrechen und umzukehren. Und ist das nicht auch bereits in beachtlicher Weise gelungen? Immerhin ist der männliche Gott schon zur Göttin geworden, die die Wünsche von Frauen vielleicht auch eher erhören wird als die von Männern. Sie sucht – wie die Figur auf dem Triptychon – Blickkontakt zu denen, die vor ihr stehen und sich etwas wünschen. Und mit ihrem erhobenen Zeigefnger fordert sie sogar geradezu dazu auf, sich noch mehr zu wünschen, auf keinen Fall zu bescheiden zu sein. Oh ja, im „Tempel der Umkehrung“ scheinen das Patriarchat und der Kolonialismus schon fast am Ende…

Wolfgang Ullrich

Vernissage: Samstag, 10. September 2022, 18:00 – 21:00 Uhr

Ausstellungsdaten: Samstag, 10. September bis  Samstag, 29. Oktober 2022

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Bildunterschrift: courtesy of 68 projects, Santiago-Rayo, 2022

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