post-title Frédéric Moser + Philippe Schwinger | Double Bodies | KOW | 10.02.-17.03.2018

Frédéric Moser + Philippe Schwinger | Double Bodies | KOW | 10.02.-17.03.2018

Frédéric Moser + Philippe Schwinger | Double Bodies | KOW | 10.02.-17.03.2018

Frédéric Moser + Philippe Schwinger | Double Bodies | KOW | 10.02.-17.03.2018

bis 17.03. | #1855ARTatBerlin | KOW zeigt ab 10. Februar 2018 die Ausstellung „Double Bodies“ der Künstler Frédéric Moser und Philippe Schwinger.

Es gibt kein Gesetz, das über unseren Gesetzen steht und sie zwingt, zu bestehen.

Das ist ’ne gute Sache.
(Aus Toms Monolog im Film Double Bodies)

Diese Ausstellung schaut auf eine Subjektivität, die sich in postmoderner Zeit materiell wie ideell neu sortieren muss und dabei alten und neuen Mächten begegnet, die ihr ihre Stempel aufdrücken. Dabei trifft sie auf die Konstruktion politischer Körper und auf Repräsentationen, die heute wieder feudalistische und antidemokratische Züge annehmen. Wo die Macht ihre Kontinuität erhalten will, inkorporiert sie den kollektiven Leib einer Gemeinschaft von Menschen in einem symbolisch überhöhten Subjekt: Lang lebe der König!

In Film und Skulptur reagieren Frédéric Moser und Philippe Schwinger auf die aktuelle Refeudalisierung post-demokratischer Gesellschaften. Sie knüpfen dabei an vorangegangene Videoinstallationen an, in denen sie Geschehnisse der Vergangenheit durch theatrale und skulpturale Reenactments zu neuen Diskursfiguren schmiedeten, mit denen sich ein klärender Blick auf politische Ereignisse der Gegenwart werfen ließ. So entstand etwa Unexpected Rules 2004 für die Bienal de São Paulo: Diese Reinszenierung der Clinton-Lewinsky-Affäre war von Ignacio Matte Blanco inspiriert, der das Irrationale als eine eigene Form der Rationalität beschrieb, indem er die parakonsistente Logik von Newton da Costa aus der Mathematik auf die Psychoanalyse übertrug. So konnten Moser und Schwinger die gegensätzlichen Gefühle, Strategien und Interessen der am Lewinsky-Politskandal beteiligten Akteure zu einem Kino-Bühnenstück vereinen, in dem die paradoxen Konstellationen von Macht und Intrige, Sex und globaler Medienwelt gemeinsam ins Rampenlicht treten und in ihrer Widersprüchlichkeit rational völlig einleuchten.

Ihre neue Ausstellung nimmt sich abermals ein paradoxes Geschehen zum Ausgangspunkt, das die politische Organisation der westlichen Welt jahrhundertelang prägte. Um die uneingeschränkte Herrschaft des Königs über seine Untertanen zu legitimieren, erfanden politische Theologen im Spätmittelalter die feudalistische Fiktion eines doppelten Körpers des Königs. Sie ernannten seinen natürlichen, sterblichen Körper zu einem gleichzeitig unsterblichen, heiligen und kollektiven Leib, der das ganze Volk zu inkorporieren vermochte – eine ewige Institution in Fleisch und Blut. Diese Fiktion mündete im Absolutismus und lebt noch heute fort in nationalistischen Formeln wie dem „Volkskörper“, aber auch in Konzepten von Nationalsouveränität, die sich in EU-Verordnungen finden. Damit die paradoxe Doppelexistenz von Physis und Meta-Physis in den zwei Körpern des Königs vernünftig erscheinen konnte, bedurfte es eines ganzen Apparates von Repräsentationen, die den Herrscher ästhetisch zum Staatssubjekt überhöhten. Knifflig wurde es indes, wenn der König starb. Denn auch im Tod musste sein ideeller Leib intakt und die Kontinuität des kollektiven Körpers und seiner Staatsorgane gewahrt bleiben. So entstanden ab dem 14. Jahrhundert aufwändig gestaltete Katafalke: Sockel, auf denen der eingesargte Leichnam öffentlich präsentiert wurde, eingebettet in die Symbolik einer ewigen aristokratischen Weltordnung von Gottes Gnaden.

Ein berühmt gewordener Katafalk, jener Abraham Lincolns, auf dem auch heute noch hohe US-Staatsdiener im Kapitol in Washington, D.C. vor der Grablegung aufgebahrt werden, demonstriert die Reproduktion dieser symbolischen Ordnung in demokratischer Zeit. Er gab Anlass für das textile Objekt, dass in Mosers und Schwingers Ausstellung den oberen Raum der Galerie dominiert. In schweren dunklen Stoffen reproduziert das Werk die stereotypen Formen der exklusiven Inszenierung toter Volksvertreter als Gliedmaßen eines imaginären Staatskörpers (Lincoln’s funeral, 2018). Die zweite Seite des Objekts überführt diese imaginäre Dimension in die Sprache der Moderne. Sie lässt die Ästhetik des Erhabenen aufleben, die der abstrakte Expressionismus verwendete. Schwarze und weiße Streifen verlaufen in einer Vertikalität, die sich über das Werk hinaus ewig verlängert. Das ästhetische Objekt berührt im Hier und Jetzt die Unendlichkeit. Doch skulptural verbogen, und ohne Berührung zum Boden, hängt der „Katafalk“ der beiden Schweizer Künstler dysfunktional in den Formeln seiner eigenen, doppelten Rhetorik, die sich umrunden und mit dem eigenen Körpermaß in Beziehung setzen lässt und mithin mit den verinnerlichten Dimensionen eines Größeren, dessen Teil wir selber – sind?

Wenige Schritte weiter wechselt die symbolische Ordnung aus der Vertikale in die Horizontale und in eine bürgerliche Lebenswelt. Nebeneinander hängen flach an der Wand zwei textile Werke in den klassischen Schnitten japanischer Kimonos (Citizen O, citizen k, 2018). Sie erscheinen wertig, groß, schön, geprägt von der Eleganz eines strikt codierten Formprinzips. Auch sie sind Bühnen für den Auftritt einzelner Körper, die in ihren Kleidungsritualen einer Ikonografie der Distinktion folgen. Verschiedene Stoff- und Schnittmuster für verschiedene gesellschaftliche Anlässe und Klassen weisen einzelnen Personen für alle sichtbar einen Platz in der kollektiven Struktur sozialer Rollenaufteilungen zu. Auch sie bedeuten die Kontinuität eines politischen Körpers, der das Subjekt umfasst und integriert. Das gleiche gilt für das vierte Objekt im Raum, die kunstvolle Nachbildung einer Halskrause. In immer raffinierteren und bisweilen immensen Ausmaßen zierten die auch Fräsen genannten Großkrägen seit dem 16. Jahrhundert die Hälse ihrer noblen Träger und vor allem jene der Inhaber öffentlicher, oft juristischer Ämter. Hier fokussiert Mosers und Schwingers Objekt die symbolische Ordnung auf den einen Punkt einer zentralisierten Autorität, die im Titel der Arbeit mit ihrer rechtsgebenden Funktion verbunden ist: Only words make the decrees (2018). Erneut laufen in der Inszenierung eines symbolisch überhöhten Körpers die Regularien eines kollektiven (Rechts-)Subjekts zusammen, das sich geradezu buchstäblich in den vielgliedrigen Faltungen des feinen Stoffes wiederspiegelt.

Die zwei Körper des Königs leben heute weiter in zahlreichen Formen der staatlichen Repräsentation, und nicht nur dort. Den Ausstellungsraum durchzieht ein vordemokratisches Vokabular von Zeichen, die in gewandelter Gestalt ihre metaphysische Begründung von korporativer Macht bis in die post-demokratische Ära tragen, wo sie neofeudale Verhältnisse jenseits diskursiver Rationalität zu begründen helfen. Das zumindest scheint die These von Moser und Schwinger zu sein. Nicht ohne Grund operieren ihre neuen Werke ganz in der Realität des Sinnlichen, des geradezu taktilen Begehrens bei der Betrachtung einer Stofflichkeit, die Leiber umgibt, umhüllt und trägt. Sie begeben sich auf die Ebene der Sensationen, sprechen die Sprache der Affekte, betören mit Oberflächen und holen ihre Formen aus der Vergangenheit. Mit all dem begeben sich in den gleichen Ring, in dem auch zeitgenössische Populisten und Königsanwärter ihre Punkte machen, freilich mit einem Projekt der Dekonstruktion. Sie bleiben dabei ganz in der Welt der Erscheinungen und lassen so einleuchten, wie sehr der politische Körper ein ästhetischer Körper ist, eine ideelle Erzählung in flüchtigem Material, deren Stärke allein die Suggestion ist und im Reich des Imaginären liegt.

Im zweiten Kapitel der Ausstellung kehrt sich der Zeitpfeil um und wir blicken in die Zukunft. Auf zwei Screens laufen Science-Fiction-Filme, aus deren spartanischer Ausstattung und Handlung anspruchsvolle Diskursfiguren hervortreten, aus denen erneut da Costas parakonsistente Logik grüßt. Auf dem rechten Screen sehen wir Isa, links Tom. Beide sind gefangen in Loops, in ihrer jeweiligen Geschichte und in der gleichen öden Berglandschaft, die dem Mars nicht fern ist. Isa fährt wieder und wieder mit ihrem Moped in die abgelegene Gegend, um dort ihr erwirtschaftetes Geld zu verbuddeln. Sie ist der Typ Businessfrau, die alles im Griff hat, aber ihrer Bank nicht mehr traut. Drum füttert sie die Erde mit ihrem Vermögen. Am Ort ihres Verstecks erwartet sie stets das gleiche schweigende Kameraauge, das zu irgendeinem unbekannten technischen Gerät gehört und offenbar nichts anderes zu tun hat, als sie zu betrachten. Durch dieses digitale Auge sehen wir Isa, und es entspinnt sich ein Dialog zwischen ihr und diesem stummen Blick, der auf dessen Zerstörung hinausläuft. Sie verhandelt im Gespräch ihre Position in dieser absurden Beziehung zwischen sich und etwas, das Teil von etwas anderem ist. Wem gehört dieser Blick, der ihre geheime Finanzverwaltung observiert? Einer Firma? Einem Staat? Einem Gott? Was macht sie unter dieser Beobachtung aus ihrer Selbstbestimmung und aus ihrem Traum, selber am oberen Ende der Nahrungskette zu stehen und beim W20 Gipfel neben Ivanka Trump und Angela Merkel zwischen den mächtigen Frauen der Welt ihren Platz einzunehmen? Und wie kommt sie heraus aus diesem Hamsterrad, in dem sie Kapital anhäuft, um weiteres Kapital anzuhäufen, um es zu vergraben?

Und was hat Isa mit Tom zu tun, der auf dem linken Screen in abgestimmtem Rhythmus seinem eigenen Schicksal nachgeht? Tom hat seine Frau verlassen und nächtigt im Nirgendwo der Berge, fernab von seinem Leben. Die Trennung ist frisch und er verbringt seine Zeit mit Sprachnachrichten, die er seinem Smartphone diktiert, aber ohne Netz nicht verschicken kann. So vertieft er sich in den inneren Dialog mit einer verlorenen Partnerin und sieht die Welt aus den Angeln geraten. Unter dem Sternenzelt beginnt er, an der Ordnung des Universums zu zweifeln. Tom ist ein konservativer weißer Familienmacho aus den Fünfzigerjahren, doch plötzlich wird alles für ihn anders denkbar: dass die Zeit enden könnte, das ganze Leben, ja der Himmel selbst, unter dem er steht. Während er die Zivilisation, die er verlassen hat, in mittelalterliche und feudale Zeiten zurückfallen sieht, wird er plötzlich zum Mann einer neuen Zukunft, in der Utopie und Dystopie eins werden und sein Denken und Körper bereit sind für die große Transformation: „Es gibt kein Gesetz, das über unseren Gesetzen steht und sie zwingt, zu bestehen.“ Doch das gewaltige Ereignis, das alle Regeln aushebeln, alles transformieren und Tom mit der Ewigkeit verbinden sollte, wird, noch ehe es eintrifft, von einer Explosion unterbrochen: Nur einen Steinwurf entfernt jagt Isa das Auge in die Luft, das ihr Tun einer anonymen höheren Macht offenbarte, aus deren Klauen sie sich endlich befreit.

Isas und Toms Geschichten sind gegenläufige Wege der Emanzipation in einer paradoxen Welt. In dieser Welt koexistieren nebeneinander unterschiedliche Zeitverläufe, widersprüchliche Werte und Urteile, Reelles und Ideelles, Intimität und Universalität, Macht und Ohnmacht, Vernunft und Zufall. In den Subjekten des Handlungsverlaufs nehmen sie parallele Gestalt an. Die Diskursfigur der zwei Körper des Königs kehrt hier wieder in einer symbolischen Synthese, die das Unvereinbare in sich aufnimmt und als zwei benachbarte Projektionen in den gleichen Raum stellt, in dem wir stehen. Auch formal sitzt Mosers und Schwingers Filmdoppel dabei zwischen den Stühlen und Genres. Zwischen Stand-Up-Comedy, Fernsehserie, Theaterstück und Kinoästhetik mischen sich Krimi-, Action-, und Doku-Elemente, fallen Witze ohne Lachen, entspinnen sich Dialoge ohne Antwort, geschieht das Absurde ganz normal. Die Künstler geben dem Begriff des Inkommensurablen einen fassbaren und zeitgemäßen Sinn: Dass der Lauf der Dinge nicht einer einzigen Logik gehorcht, dass Orte und Subjekte gegensätzliche Identitäten tragen, dass rationale Diskurse das Irrationale integrieren, dass Befreiung Unterschiedliches meinen kann und dass Dinge geschehen mögen, die keinen Sinn ergeben – aber dennoch wahr sind –, das alles findet in diesem Werk seine Form und seine narrative und ästhetische Struktur, ohne die Spannungen aufzulösen, unter denen in der Gegenwart das Denken und das Handeln stehen.

Als die Aristokratie die Macht aus der Kirche holen wollte, erfand sie ein Regime, in dem die Sterblichkeit und die Unsterblichkeit gemeinsam bestehen konnten, die Fiktion einer symbolischen Ordnung, die einige in die günstige Lage brachte, alle und alles auf sich zu vereinen. Seither kehren die Kämpfe gegen diese historische Anmaßung wieder und wieder, und immer wieder gehen sie von einem Misserfolg zu einem Erfolg und wieder zurück, verkleiden und verwandeln sich die Gegner und die Formen ihrer Macht. Moser und Schwinger entkleiden auf theatrale Weise die Repräsentationen, ohne die die Machtergreifung alter und neuer Könige nicht gelingen kann. Und entdecken dabei, wie wir seit langem selbst in einer Ordnung doppelter Körper leben, die unserer Subjektivität eine sterbliche und eine unsterbliche Seite gibt als Teile eines Imaginären, das der eigentliche Schauplatz der Politik ist.

Text: Alexander Koch / Translation: Gerrit Jackson / Editing: Kimberly Bradley

Vernissage: Freitag, 9. Februar 2018, 18:00 – 22:00 Uhr

Ausstellungsdaten: Samstag, 10. Februar bis Samstag, 17. März 2018

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Bildunterschrift: Frédéric Moser and Philippe Schwinger, Lincoln’s Funeral, 2018 (Detail)

Ausstellung Frédéric Moser + Philippe Schwinger – KOW | ART at Berlin

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