post-title Thomas Prochnow | de_konstruktion | Semjon Contemporary | 03.02.–02.03.2024

Thomas Prochnow | de_konstruktion | Semjon Contemporary | 03.02.–02.03.2024

Thomas Prochnow | de_konstruktion | Semjon Contemporary | 03.02.–02.03.2024

Thomas Prochnow | de_konstruktion | Semjon Contemporary | 03.02.–02.03.2024

bis 02.03. | #4151ARTatBerlin | Semjon Contemporary zeigt ab 3. Februar 2024 (Vernissage: 02.02.) die Ausstellung de_konstruktion des Künstlers Thomas Prochnow.

Prochnow wäre nicht Prochnow, würde er nicht wieder ein Konzert mannigfaltiger Materialien, Formen und Farben vorführen. Und das in verschiedenen künstlerischen Gattungen. Von der großen Wandskulptur (eigentlich Objekt, da es additiv zusammengesetzt ist, in seiner Erhabenheit und Wucht dennoch als wirkungsvolle Skulptur herüberkommt!), über eine kleine Serie von Wandobjekten, den Holzbildern, bis zu den Fotografien (als Pigmentdruck) und dem begleitenden Siebdruck.

In der heutigen Zeit, in der ein nachhaltiges Wirtschaften der Menschheit erlauben würde, etwas länger auf diesen Planeten zu verweilen, in der eine Generation heranwächst, die das begriffen hat und entsprechend das Handeln einfordert, da hat Thomas Prochnow schon inzwischen gut 20 Jahre hinter sich, in denen er das nachhaltige Wirtschaften, hier ist das Produzieren von Kunst gemeint, umgesetzt.

Wir wissen: Not macht erfinderisch, und fast allen jungen Künstlern und Künstlerinnen ist die Geldknappheit gemeinsam (bis auf diejenigen, die mit dem Silberlöffel im Mund geboren sind). Also bedarf es einer Strategie, mit dem wenigen, das man hat, an künstlerisches Material zu kommen, um einigermaßen frei arbeiten zu können.

Aber nicht nur der Respekt vor dem Ding, dem Alltagsding, die Wertschätzung und das Ressourcenmanagement haben Thomas Prochnow zur Kunst gebracht. Es ist auch der unbändige freiheitliche Willen, sich als Individuum zu verstehen und eine eigene Sicht auf diese Welt zu formulieren. Die Norm, als ein Regelwerk vom Menschen geschaffen, das sich überall in jedem Augenblick präsentiert und in jeder Lebenswirklichkeit zu spüren ist, ist ein großes Geschenk, das sich der Mensch als Erdenkind gemacht hat. Aber auch sein Fluch.

Und genau in diesem Spannungsfeld setzt der Künstler seine Arbeit ein, um sich und die Welt besser zu begreifen und schöpferisch zu handeln. Allein das Normsystem DIN (Deutsche Industrienorm) ist unabdingbar mit der Welt (zumindest der europäischen) verbunden. Von der DIN-A6-Postkarte über das DIN-A4-Blatt bis zum DIN-A0-Poster. Dass das Regelwerk, das Schaffen von Normen, mitunter skurrile Blüten zu treiben weiß, ist uns durch den Spott über die EU und die Bananenkrümmung hinreichend bekannt. Die Norm als Chance, aber auch als Diktat.

ART at Berlin - Semjon Contemporary - Thomas Prochnow - Holzbild Din_A4 - Foto Thomas Prochnow
Thomas Prochnow, Holzbild Din A4 Roh 31, 2022,
Fundholz, verleimt und beschnitten, 29,7 x 21 x 2,5 cm, Foto: Thomas Prochnow

Wenn Thomas Prochnow Fundstücke beispielsweise Holzlatten und ehemals verbaute MDFoder Spanplatten verwendet, die womöglich noch eine der Nutzung zugeführten Farbfassung haben, dann zersägt er diese und leimt sie zusammen und sägt sie auf eine DIN-Größe und schafft z.B. seine seit Jahren fortlaufende Werkserie der Holzbilder. Und schon ist der Norm ein Schnippchen geschlagen, bekommt die gesichtslose, rein funktionsbedingte Norm ein individuelles Gesicht. Das Wesen und die Struktur des Materials, seine nicht mehr bekannte Vorgeschichte, verbindet sich zu einem Artefakt schöpferischen Willens und der Gestaltungskraft. Und diese scheint unendlich zu sein bei Thomas Prochnow! Es mag ein zartes, fast hingehauchtes Tafelbild in seiner Erscheinung entstehen, oder ein filigranes hölzernes Gespinst, das einzig und allein als verbindendes Gemeinsames die DIN-Größe und das Prinzip des Zusammenleimens hat und variationsreich von minimal reduziert bis barock verschwenderisch daherkommt.

Das Nachhaltige ist aber auch im Verwertungsprozess seiner eigenen Installationen gegeben. Einmal aufgebaut wird das verwendete Material immer wieder genutzt, bis dass es auf die Größe der Holzbilder oder Verwandtes minimiert ist.

Apropos Installation und Raumintervention: Auch hier erweist sich Prochnow als ein schöpferischer Meister, der es versteht, egal welchem Raum auch immer, durch seine Bearbeitung neues Leben einzuhauchen. Entweder verstärkt er sein Wesen oder aber konterkariert ihn, geht in die Opposition durch seine interventionistischen Eingriffe (vgl. hierzu die zahlreichen publizierten Beispiele auf seiner Homepage www.thomasprochnow.de oder aber auch der von Semjon Contemporary).

Die letzten Ausstellungen bei Semjon Contemporary, edit-2.0/Der Zweite Öffentliche Raum (2020) und edit_black (2019), Kraftwork und Fokus Garten-Salon (beide 2015) haben dies analytisch vorgeführt. Der Künstler, der mit und gegen die Norm arbeitet, schafft sich selbst ein Regelwerk, das radikal verinnerlicht ist und im Werk gleichzeitig vom Leben, seinen Höhen und Tiefen, Hochglanz und Schründen erzählt, eine poetische und sinnliche Kraft erhält.

Von der Street-Art kommend, und sehr früh schon beeindruckt und inspiriert vom Aufbruch der Moderne in Richtung Abstraktion (nicht umsonst ist er Kunststudent geworden), hat er schnell den gängigen Pfad in der Graffiti-Szene verlassen und stattdessen geometrische Zeichen als tag hinterlassen im Kontext verlassener und hinfälliger Architekturen und Unorte des Verkehrswesens. Er nennt diese lebensfeindlichen Orte Der Zweite Öffentliche Raum.

Respektiert von den Kolleg:innen bis zum Abbruch der Architekturen (also keine Übermalung!), ist er in der Szene eine Größe geworden. Doch damit nicht genug. Aus der in dieser Gemeinde üblichen Trophäenfotografie ist eine herausragende künstlerische Fotografie entstanden, die uns teilhaben lässt an dem flüchtigen Kunstwerk, das dem Untergang, schon im Schaffen, geweiht ist. Die präzis gesetzten geometrischen und monochromen Figuren auf abblätterndem Putz haben eine Strahlkraft, die zugleich poetisch ist, und werden sehr beeindruckend im Kontext des Raumes als fotografisches Werk bildnerisch komponiert. Die geometrischen Zeichen sind selbst wieder (Norm-)Muster, die in der Natur und der Wissenschaft unabdingbare Größen sind. Hier schließt sich wieder ein Kreis.

Wenn nun Prochnow in seinem aktuellen Hauptwerk einen wanddominierenden Kreis aus Fundstücken von Zinnblech formt, dann fasst er die Erfahrung seines bisherigen Schaffens zusammen. Die Zinnblechstücke sind das bei einer Haussanierung abgetragene Abdichtungsmaterial (vgl. Ausstellungstitel de_konstruktion), das z.B. zwischen Dach und Mauerwerk zum Einsatz kommt. Verbogen, gefaltet und mit Bitumenresten versehen, sind sie für den Künstler ein willkommenes Material. 2023 im Kunstverein Gera zu einer beeindruckenden raumfüllenden Hängeskulptur vereint, hat er auf meinen Wunsch hin – die Galeriedecke ist dafür leider ungeeignet – eine wandplastische Arbeit geschaffen (_konstruktion). Und diese ist atemberaubend: Mit voller Wucht dehnt sie sich in den Raum hinein und versammelt sich dennoch als Ganzes zu einem kreisformenden Gebilde. Sie bindet Kraft und strahlt diese aus. Die weit in den Raum ragenden, abgeknickten wuchtigen Blechstreifen formulieren ein aggressives Moment, das sich aber zugleich zurücknimmt durch das Geflecht einer Vielzahl ihresgleichen. Sie werden zu einer formgebenden Struktur und schaffen ein ausbalanciertes Miteinander. Die Bitumenreste, beim Anbringen durch die Dachdecker ehemals in nicht-künstlerischer Absicht aufgebracht, korrespondieren nun vortrefflich mit dem divers schimmernden metallenen Glanz, schaffen ein Konzert von dunklen und hellen Lokaltönen und verstärken das plastische Werk zugleich zu einem dreidimensionalen Materialgemälde. Einmal Prochnow, immer Prochnow.

Semjon H. N. Semjon
Februar 2024

Vernissage: Freitag, 2. Februar 2024, 19:00 – 21:30 Uhr

Ausstellungsdaten: Samstag, 3. Februar – Samstag, 2. März 2024

Zur Galerie

 

 

Bildunterschrift Titel: Thomas Prochnow, Materialstudie Bleiblech für eine Wandarbeit, 2023 Foto Thomas Prochnow

Ausstellung Thomas Prochnow  – Semjon Contemporary | Zeitgenössische Kunst – Contemporary Art – Ausstellungen Berlin Galerien – ART at Berlin

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