bis 14.06. | #4225ARTatBerlin | Galerie Kornfeld zeigt ab 26. April 2024 die Ausstellung Dynamische Stille: Gewalt und Lebendigkeit der Farben des Künstlers Rao Fu.
Unter dem Titel „Dynamische Stille: Gewalt und Lebendigkeit der Farben“ freuen wir uns auf die erste Einzelausstellung mit neuen Gemälden von Rao Fu. Bewohnt von Kreaturen, die zugleich menschlich und doch ganz der Fantasie des Künstlers entsprungen sind, geben die Werke des renommierten chinesischen Künstlers Einblicke in traumhafte Szenen, die vielfach ins Albtraumhafte kippen.
Rao Fu wurde in Peking geboren und lebt seit mehr als zwanzig Jahren in Dresden. Bevor er sich nach Deutschland aufmachte, absolvierte er von 1999 bis 2001 ein Designstudium an der Tsinghua Universität in Peking. Von 2002 bis 2010 schrieb er sich dann an der Hochschule für Bildende Künste Dresden ein, um seine Studien in Malerei, Grafik und Kunsttherapie zu vertiefen. Während seines Studiums bei Siegfried Klotz und Elke Hopfe setzte er sich u.a. mit den traditionellen Malmethoden der Dresdner Schule auseinander. Im Jahr 2008 wurde er Meisterschüler und setzte ein Aufbaustudium bei Professor Ralf Kerbach fort.
Bereits während seines Studiums erhielt Fu 2006 das DAAD-Stipendium für Bildende Kunst und von 2008 bis 2012 ein Stipendium der Heinrich-Böll-Stiftung. In den darauffolgenden Jahren erhielt er 2014 ein Stipendium der Kulturstiftung des Freistaates Sachsen und 2016 zusätzlich das Heimspiel-Stipendium der Kulturstiftung des Freistaates Sachsen, gesponsert von der Baumwollspinnerei Leipzig. 2017 gewann er das Stipendium des 14. Hallenkünstlers der Leipziger Baumwollspinnerei, und im Jahr 2020 wurde er mit dem Stipendium „Denkzeit“ der Kulturstiftung des Freistaates Sachsen ausgezeichnet.
Werke von Rao Fu finden sich unter anderem in den Sammlungen des Nationalmuseums für Geschichte und Kunst in Luxemburg (MNHA), in den Staatlichen Kunstsammlungen Dresden, der Städtischen Galerie Dresden, der Sächsischen Kunststiftung und dem Kuandu Museum of Fine Arts, Taipei.
Die Werke von Rao Fu sind auf Ausstellungen in Asien und Europa zu sehen, u.a. bei der renommierten Galerie Perrotin. Auch auf international bedeutenden Kunstmessen wie Art Basel
Hong Kong, Asia Now Paris, Art 021 Shanghai Contemporary Art Fair, Art Taipei, Art Düsseldorf und vielen anderen ist er regelmäßig mit Werken vertreten.
Die Fantasien des Sehen: Über die Gemälde von Rao Fu
Dem Auge traut er mehr als dem Geist. Wer dem 1978 in Peking geborenen, heute in Dresden lebenden Maler Rao Fu, den es als 23jährigen aus fröhlicher Lust am Reisen und Entdecken andrer Kulturen und auch aus purer Neugierde auf die ihm zuvor nur von Abbildungen bekannten Originale beispielsweise der Romantik nach Deutschland verschlug, mit der Frage konfrontiert, warum er sich mehr auf das Sehen als auf das Denken verlässt, stößt auf heftigen Widerstand aus berechtigter Skepsis. Weder reizt es ihn, diese organisch gewachsene Präferenz zu hinterfrgen. Noch sieht er darin irgendeinen Sinn, entfalten seine Bilder doch ihren immensen Sog gerade dadurch, dass sie uns erst vollsehend machen und dann frei denken lassen.
Ja, Fu hält es sogar für überflüssig, nach dem Surplus des Sehens zu fragen, da es weder ihm noch uns ein Mehrverständnis angesichts seiner mysteriösen, von einer prekären Atmosphäre des Unheimlichen getragenen Malerei beschert. Frei von Referenten, enthalten seine Werke nichts Abbildendes oder Nachgebildetes, keinerlei Direktbezug zu Dingen, die wir mit der Realität, wie sie uns im Alltag erscheint, identifizieren können. Das Reale und das, was der Fall ist, werden transzendiert und die Vorhänge der Realität beiseitegeschoben, um in mehrdeutige, von Düsternis und Melancholie gesättigte Traumzonen vorzudringen. Zwar lassen sich durchaus Korrespondenzen zu Erfahrungen und Situationen herstellen, aber so verwandelt und so verfremdet, dass wir dem, was wir vor uns sehen, so begegnen, als stießen wir auf Außerirdische mit Augen und Mündern und anderer Hautfarbe.
Fu erschwert die Analyse seiner Werke. Entsprechend sparsam fallen Auskünfte über seine Themen aus. Nicht weil er auf Mystifikation um der Mystifikation willen setzt, sondern, weil er sich der rationalen Befragung, dem, was Max Ernst „Ausdeutung“ nannte, entziehen will. „Ich male offene Bilder“, so Fu im Gespräch, „um zu verhindern, dass der Betrachter diese nur in eine Richtung interpretiert. Ich mache keine Vorskizzen, will nichts steuern, gehe von einer gewissen Vorstellung aus. Am Anfang noch vage, konkretisiert diese sich erst allmählich, aber nie soweit, dass es allzu eindeutig wird. Mir liegt daran, ein offenes Bild zu malen, damit es nicht in nur eine Richtung interpretiert werden kann.“
Befragt danach, ob sich alles aus dem Malprozess heraus entwickelt, gibt er zu verstehen: „Ich reagiere auf eine Farbe, auf eine Form und darauf, ob es eine große oder eine kleine Fläche ist. Wenn ich male, beziehe ich mich auf meine innere Wahrnehmung der Welt und der Werke nicht nur alter Meister, die ebenfalls Gruppenbilder schufen. Sobald ein Bild zu lieblich zu werden und in Harmlosigkeit zu versinken droht, arbeite ich mit allen Mitteln dagegen. Es geht um die Erzeugung einer niemals abflachenden Spannung. Das ist mein Ziel.“
Der verborgene Sinn, der sich aus seiner Malerei gleichwohl herauskristallisieren lässt, entspringt der Quelle des Unbewussten. Diese zapft Fu an, indem er sich an das, was er auf die Leinwand mittels Farben und Formen wahr zaubert, sowohl fühlend als auch assoziativ herantastet, von Pinselstrich zu Pinselstrich. Das Alogische, das Poetische und vor allem die Steigerung der Spannung interessieren ihn. Darin steht er dem Surrealismus mit seiner „Écriture automatique“ nahe. Wir haben es hier folglich mit keinen Kopfgeburten, mit keiner konzeptuellen, sondern mit einer Malerei zu tun, die aus der Intuition, dem inneren Erleben, dem inneren Sehen und inneren Fühlen gewonnen ist.
Für ihn, den leidenschaftlichen Maler, der nie etwas anderes gewollt hat als zu malen, geht es in erster Linie um die Stimmigkeit eines Bildes, die es zu einem wahren und glaubwürdigen macht. Zwar stehen formale Überlegungen im Vordergrund, doch immer in Bezug auf das Thema des Seins des Menschen, der einer von Gewalt und Brutalität beherrschten Welt ausgeliefert ist, und bezogen auf die unaufhebbare Distanz, die zwischen der Masse und dem Individuum herrscht.
Ein Beispiel dafür ist ein Bild, das eine Gruppe von überwachten Menschen zeigt, dazu verdammt, Nähmaschinen zu bedienen, um billige Massenprodukte zu produzieren. Dass es sich um Arbeiter ohne Eigenschaften handelt, die anonymisiert und alles andere als frei sind, und dass sie über keinerlei Subjektivität und kein Eigenleben verfügen, sondern dazu gezwungen sind, sich dem Kollektiv unterzuordnen, ist eine mögliche Deutung, die sich uns nicht auf Anhieb aufdrängt. Sie erschließt sich uns erst langsam, von Augenblick zu Augenblick. Neben den Sitzenden entdecken wir auch Stehende, die Kontrolle über die unablässig Arbeitenden zu üben scheinen. Auch sie unterscheiden sich in ihrer Erscheinung nicht von der Masse, und auch sie sind nicht frei. Ohne Ausnahme bestehen die Gesichter, alle fratzen- oder maskenhaft und ohne Unterscheidungsmerkmale, nur aus Augen und Mündern. Ob grün, rot, gelb oder blau, entspricht ihre Hautfarbe nicht der natürlichen. Bereits dadurch, dass die Farben keine realistischen sind, löst die Szene bei uns nicht nur Befremdung aus. Sie lässt uns auch das Gefühl der Fremdheit in den Körpern, den hohen Grad der Entfremdung spüren. Die Irritation, die Fu bis ins Unerträgliche steigert, wird von ihm noch dadurch forciert, dass er die Situation in eine Sphäre der totalen Ortlosigkeit verlegt. Wir können nicht ausmachen, ob wir uns drinnen in einer Fabrik oder draußen in der Landschaft befinden. Der Übergang zwischen Innen- und Außenraum ist hier nicht nur fließend, sondern verschwunden. Es gibt keinen Raum, der Schutz gewährt, und dieses latente Bedrohtsein wird durch die dunklen Wolken im Hintergrund deutlich.
Ein anderes Bild zeigt einen so traurigen wie nachdenklichen Jungen, sitzend auf einem roten Plastikstuhl an einem Tisch mit einem kleinen Hund, der neugierig zuschaut, wie dieser den Inhalt eines transparenten, halb mit Wasser gefüllten Plastikbeutels wie ein Wunder bestaunt. Denn nicht ein Fisch schwimmt dadrinnen, sondern eine Venus, die römische Göttin der Liebe, des erotischen Verlangens und der Schönheit. Sie wirkt wie ein von dem Jungen gefangener Flaschengeist, der sich auf diesen schwimmend zubewegt und seine ganz dicht an dem Plastikbeutel gehaltenen Augen berühren möchte. Auf die Frage, warum der Junge eine Uhr trägt, liefert Fu den Hinweis, dass das Bild ein Porträt seines Sohnes darstellt, der statt auf die Uhr zu scheuen, seine Zeit am Computer vertreibt und sich darin verliert. Auch diese Szene versuchter Zärtlichkeit ist nicht lokalisierbar, weil auch sie in der Übergangszone zwischen Drinnen und Draußen angesiedelt ist. Man glaubt zunächst, in einem Innenraum zu sein, doch die bergige Landschaft mit Fluss und rosafarbenem Himmel durchflutet den Innenraum. Die Trennung ist auch hier aufgehoben. Und dies lässt uns nicht nur an der Stabilität von allem und der Leichtigkeit des Seins zweifeln. Es versetzt uns zudem in einen anderen Bewusstseinszustand zwischen Traum und Wirklichkeit.
Heinz-Norbert Jocks, Kunstkritiker und Kurator
Vernissage: Freitag, 26. April 2024, 18 – 21 Uhr
Ausstellungsdaten: Freitag, 26. April 2024 – Freitag, 14. Juni 2024
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Bildunterschrift: Rao Fu, Summer night, 2024, Öl auf Leinwand, 113 x 185 cm
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