bis 26.10. | #4411ARTatBerlin | Galerie Guido W. Baudach präsentiert ab Freitag, 13. September 2024 (Vernissage 12.09.) die Ausstellung Remote Control der Künstlerin Jasmin Werner.
Jasmin Werners künstlerische Praxis nutzt skulpturale Formen, um die Infrastrukturen und gelebten Erfahrungen der globalen Migration zu untersuchen. Die Künstlerin befasst sich dabei insbesondere mit den ästhetischen und politischen Dimensionen der Arbeitsmigration, deren unterschwelligen wirtschaftlichen und emotionalen Prozessen sie nachspürt. In ihrer jüngsten Werkreihe, die in ihrer zweiten Einzelausstellung Remote Control in der Galerie Guido W. Baudach in Berlin präsentiert wird, bietet Werner einen Einblick in die Wirtschaftsweisen und Kommunikationstechnologien, von denen Migranten in ihrem Leben fernab der Heimat Gebrauch machen.
Im Zentrum von Remote Control steht das Bild eines Admiralschmetterlings; gemalt auf einen industriell gefertigten Rollladen. Die Arbeit stammt aus der Serie Send Money Fast (2023), die Werner mit dem Berliner Schildermaler Dawid Celek produzierte. Die Zusammenarbeit entstand, als Werner auf die Fensterläden eines Geschäfts im Stadtteil Moabit aufmerksam wurde, die Celek mit Werbung bemalt hat. Der Laden verkauft gebrauchte Mobiltelefone und bietet Western Union-Dienste an, die von Migranten genutzt werden, um Geldzahlungen in ihre Heimatländer zu tätigen. Die Künstlerin entschied sich, bemalte Fensterläden als ästhetisches Sinnbild für die wirtschaftliche Binnenstruktur der Migrantengemeinschaft in ihrer Arbeit einzusetzen und beauftragte Celek, mehrere Rollläden nach ihren Vorgaben zu gestalten; einen davon mit dem Abbild des Admiralschmetterlings – einer wandernden Spezies, deren zyklische Nord-Süd-Bewegungen die Arbeitsmigration im Zeichen der modernen Globalisierung symbolisieren.
Der Handyladen und die Zahlungsdienste inspirierten auch Werners neueste Arbeiten. Sowohl Mobiltelefone als auch Bargeldanweisungen sind von grundlegender Bedeutung für die philippinische Diaspora, der die Künstlerin als Nachkomme der zweiten Generation angehört. 1974 führte der kleptokratische Diktator Ferdinand Marcos auf den Philippinen die „Arbeits-Export-Politik“ ein, die als Reaktion auf neokoloniale Unterentwicklung, Arbeitslosigkeit und hohe Staatsverschuldung einheimische Arbeitskräfte ins Ausland exportieren sollte. Seitdem hat sich das Land zu einem „Arbeitsvermittlungsstaat“ entwickelt, der zahlreiche Bürger*Innen der Philippinen in die Fremde schickt, um dort als sog. „Overseas Filipino Workers„ (OFW) zu leben und zu arbeiten und im Gegenzug Geldtransfers in die Philippinen zu tätigen, welche in Summe rund 10 % des Bruttoinlandsprodukts ausmachen. In der Folge sind Mobilfunk und digitale Netzwerke zu einem wesentlichen Merkmal von Familien geworden, die über die Philippinen und das Ausland verstreut sind.
In Verbindung mit dem eingeschränkten Zugang zu öffentlichen Räumen auf den Philippinen hat die geografische Zersplitterung vieler Familien dazu geführt, dass die Inselnation heute zu den weltweit größten Nutzern des Internets und der sozialen Medien gehört. 77 % der Filipinos geben an, mehr im Internet als im realen Leben aktiv zu sein. Die Ausstellung Remote Control untersucht die zentrale Bedeutung dieser digitalen Interaktivität innerhalb der transnationalen philippinischen Gesellschaft. Dazu beauftragte Jasmin Werner eine Gruppe lokaler Künstler in der Stadt Paete, aus der ihre Familie stammt, mit der Herstellung handbemalter Nachbildungen von Mobiltelefonen aus Pappmaché. Paete ist vor allem bekannt für seine jahrhundertealte Kunst der Holzschnitzerei, die bis in die Zeit der spanischen Kolonialisierung der Philippinen zurückreicht. Die handbemalten Handy-Nachbildungen – mit lebhaft farbigen Darstellungen von Facebook-Chatfenstern, Emojis, Bildschirmschonern, App-Displays und Bildern aus der Populärkultur – zeigen nicht nur die Instrumente der Online-Interaktion im philippinischen Sozialleben, sondern stellen auch die Fantasie der lokalen Künstler*Innen heraus, die sich für den Erhalt dieser kulturell bedeutsamen volkstümlichen Kunstform einsetzen. Neben den Handyimitaten hat Werner naturalistische, in Paete geschnitzte Holzaugen platziert, die auf Heiligenskulpturen verweisen und als Ikonen eines allsehenden Blicks sowohl Faszination auslösend als auch Angst einflößend sind.
Die handgefertigten Mobiltelefone in Remote Control verweisen auf die politischen Auswirkungen eines weitgehend digitalisierten Alltagslebens. Aufgrund der hohen Nutzung sozialer Medien und mangelnder Vorschriften ist die philippinische Gesellschaft algorithmischen Experimenten mit Data Mining, Wählermanipulation und Propagandaverbreitung ausgesetzt. Werners Skulpturen Figure 2.1 Vic in his bedroom in Melbourne. und Figure 2.2 Dolor using a desktop computer in the living room. (beide 2024) beziehen sich ganz konkret auf sogenannte „Klick-“ bzw. „Troll-Farmen“. An diesen geheim gehaltenen Orten, an denen stapelweise Smartphones in Regalen aufgereiht und mit gefälschten Nutzerkonten verbunden sind, säen bezahlte Trolls in den sozialen Medien Falschmeldungen und Desinformationen (sog. „Fake News“), oder sie extrahieren Daten für repressive, antidemokratische Zwecke. Trolling ist ein weit verbreiteter, aber gleichwohl illegaler Job auf den Philippinen und darüber hinaus. Während das durchschnittliche Monatsgehalt im Land bei 300 US-Dollar liegt, verdienen manche Einwohner mit der Verbreitung von „vernetzter Desinformation“ bis zu 1350 US-Dollar pro Monat. Gleichzeitig ist das Trolling mit den jüngsten politischen Kontroversen im Land verknüpft. Bei der letzten Präsidentschaftswahl 2022 von Bongbong Marcos, dem Sohn des früheren Diktators, wurden von organisierten Netzwerken lokaler Trolls im Internet Unwahrheiten gegen den Oppositionskandidaten verbreitet. Noch unheilvoller ist der Einsatz digitaler Desinformation durch die Marcos-Familie, um den Geschichtsrevisionismus zu fördern, indem sie Online-Propaganda verbreitet, die die Marcos-Diktatur – deren autoritäre Herrschaft durch systemische Korruption, Zensur, Armut und staatliche Gewalt bis hin zu politischem Mord gekennzeichnet war – als „goldenes Zeitalter“ der Philippinen anpreist.
In den beiden oben erwähnten Skulpturen hat Jasmin Werner zwei Vergrößerungen von Fotografien eingearbeitet, die in smartphonegroße Einheiten fragmentiert sind. Die Aufnahmen, die Angehörige von Familien zeigen, die online miteinander kommunizieren, sind Earvin Charles B. Cabaloquintos (Im)mobile Homes: Family Life at a Distance in the Age of Mobile Media (2022) entnommen, einer anthropologischen Studie über die Konstruktion von Heimat durch digitale Medien in der philippinischen Diaspora in Australien. Werners Gegenüberstellung von Fotografien digitaler Kommunikation und der Ästhetik von Klick-Farmen verweist auf die Anfälligkeit der sozialen Netzwerke von Übersee-Arbeitern für die Aufnahme einer Online-Propaganda, die sich der emotionalen Sprache des Nationalismus bedient. Werners Skulpturen-Gruppe Direct Line (2024) beschwört zudem die soziale Reproduktion der Verheißungen und Gefahren der digitalen Technologie. Ihre Installationen aus Tischen in Kindergröße mit darauf gestapelten Mobiltelefonimitaten spielen dagegen auf die ethischen Dilemmata des Online-Engagements an, die an künftige Generationen transnationaler Familien vererbt werden.
Remote Control spiegelt wider, was Cabaloquinto die „ambivalenten Intimitäten“ digitaler Technologien im Leben heutiger Migranten nennt. Während Mobiltelefone für das Ausführen von Geldsendungen und die Aufrechterhaltung der Rituale des Familienlebens unerlässlich sind, lassen sie einheimische und diasporische Familien anfällig für Überwachung und digitale Desinformation werden. Diese Ambivalenz wird in Werners Arbeiten Aquarium und Gulf Madhyamam (beide 2024) spürbar, in denen die Telefonrepliken neben oder vor verspiegelten Gittern platziert sind, die die Fassade eines Apartmentkomplexes in Makati, dem Finanzzentrum Manilas, aufgreifen, in dem die Künstlerin während ihres letzten Aufenthalts in der philippinischen Hauptstadt gewohnt hat, sowie in einem Kartonfragment aus einer „Balikbayan-Box“, einer landestypischen Paketsendung, wie sie von Übersee-Filipinos nach Hause geschickt wird. Indem die Künstlerin Geldtransfer, Mobilfunk und Desinformation miteinander verknüpft, erforscht sie die Chancen und Risiken, die entstehen, wenn digitale Technologien zu dem Ort werden, an dem Heimat produziert und verhandelt wird. Remote Control lädt zum Nachdenken darüber ein, wie die Bande von Heimat und Zugehörigkeit bei transnationalen Familien, welche vorwiegend online kommunizieren, auch jenseits von Nationalismusfantasien, welche sie für die Kontrolle aus der Ferne empfänglich machen, aufrechterhalten werden können.
Jasmin Werner (*1987) ist eine deutsch-philippinische Künstlerin und lebt in Berlin. Ihre Arbeiten wurden in zahlreichen Ausstellungen in privaten wie öffentlichen Institutionen im In- und Ausland gezeigt, unter anderem im Museum for Modern and Contemporary Art in Seoul, im Folkwang Museum in Essen (beide 2017), im Kunstverein Braunschweig und in der DuMont Kunsthalle in Köln (beide 2019), im Bärenzwinger in Berlin (2020), in den Kunstsammlungen Chemnitz, im Kunstverein Hannover und in der Bundeskunsthalle in Bonn (alle 2022), im KW Institute for Contemporary Art in Berlin (2023) sowie in der Kunsthal Thy in Dovergaard, Dänemark (2024). Aktuell sind Arbeiten von Ihr in der Ausstellung Museum in Bewegung. Eine Sammlung für das 21. Jahrhundert im Hamburger Bahnhof, Nationalgalerie der Gegenwart, in Berlin zu sehen.
Vernissage: Donnerstag, 12. September 2024, ab 18:00 Uhr
Ausstellungsdaten: Freitag, 13. September bis Samstag, 26. Oktober 2024
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Bildunterschrift Titel: Jasmin Werner, Remote Control, Courtesy Galerie Guido W. Baudach
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