bis 09.03. | #2355ARTatBerlin | Kuckei + Kuckei zeigt momentan eine Ausstellung des Künstlers Ingmar Alge.
Eine überlebensgroße Leinwand, ein dunkler beinahe pechschwarzer Untergrund, auf dem sich scheinbar willkürlich abstrakte Farbflächen bewegen, die jeweils zwischen einem zarten Rosa und einem satten, knalligen Pink changieren. Ein starker Kontrast zwischen hell und dunkel, düster und freundlich, leicht und schwer, zart und hart – so oder so ähnlich könnte man die großflächige Malerei des Österreichers Ingmar Alge auf den ersten Blick beschreiben. Manch einer wird sich sogar in die Tiefen des satten und mehrschichtigen Farbauftrags hineingesogen fühlen. Auch die rätselhafte, unklare Aussage der Arbeit lässt uns als Betrachter nicht los, gefesselt von ihrer magischen Aura begeben wir uns auf die Suche nach Antworten: Was will sie uns zeigen, was uns mitteilen? Was lässt sie weg? Was verschweigt sie uns vielleicht sogar absichtlich? Auf den zweiten Blick scheint sie uns Indizien geben zu wollen – subtil, unscheinbar, versteckt – fordert uns als Betrachter heraus, uns wie ein Detektiv auf Spurensuche zu begeben: Und tatsächlich gibt der dunkle Hintergrund Fragmente menschlicher Silhouetten frei – Haut, die ein schwaches Licht reflektiert. Hände halten die leuchtend pinken Farbflächen hoch, Beine gucken darunter hervor, ein Gesicht im Profil taucht dazwischen auf, ohne die Identität der Person zu verraten, zu stark wird sie von der Dunkelheit des Schattens verhüllt.
„Protest“ – ein Titel, der Assoziationen weckt und trotzdem zu vage ist, all jene Fragen zu beantworten, mit denen wir uns als Betrachter der Leinwand nähern. Wir identifizieren die pinken Farbflächen nun vielleicht als Protestfahnen, als Plakate, die von Menschen getragen, geschwungen und hochgehalten werden, und trotzdem bleibt der Kern, das Essentielle im Dunkeln verborgen: Wer protestiert hier und gegen was/ wen? Wo ist der historische, kulturelle und gesellschaftliche Bezug? Der Künstler Ingmar Alge hat diesen bewusst aus seiner Malerei gelöscht, so als wolle er uns die Antworten verwehren, uns weiterhin im Dunkeln tappen lassen. Für all seine Arbeiten benutzt er Fotos als Vorlage, die er willkürlich gar zufällig der anonymen Bilderflut der Massenmedien entnimmt. Statt diese jedoch eins zu eins in das Medium Malerei zu übertragen, entfernt er sich immer weiter von der ursprünglichen Vorlage, indem er die eigentlich so aussagekräftigen Elemente und Details der Fotografie Schicht für Schicht wegnimmt und übermalt. Wie auf einer Reise bewegt er sich stetig weg vom äußeren Bild und kommt sich und seiner Erwartung als Künstler dadurch ein Stück näher. Es ist der Prozess des ständigen Übermalens, Veränderns, Präzisierens oder Verwischens, den die Ölfarbe erlaubt und der für Alge so wichtig ist. Er malt bis es ihm gefällt und er schließlich zur Essenz des Bildes gelangt. Statt sich zu fragen „Was sehe ich?“ wird er stärker von seiner Intuition und den Fragen „Was will ich sehen, was empfinden?“ geleitet. Fast blind lässt er sich auf diese Suche ein. Erst rückblickend erschließt sich für ihn das „Warum“ seiner Malerei – ähnlich galt das auch für den kürzlich verstorbenen Autor und Philosophen Roger Willemsen. In seiner neuesten und letzten Publikation Wer wir waren beschreibt er die Gegenwart durch eine imaginäre Brille der Zukunft. Es ist diese Art des Beobachtens – das Zurückblicken auf aktuelle Geschehnisse und Gegebenheiten, die im Hier und Jetzt noch nicht einschätzbar, nicht erkennbar sind – die der Künstler spannend findet und auf seine neuen Arbeiten anwendet.
Ingmar Alge triggert mit seinen Gemälden unser kollektives Bildgedächtnis. So fragen wir uns ganz automatisch: Habe ich das nicht irgendwo schon mal gesehen? Woran erinnert mich dieses Bild? Wir verknüpfen die Bilder mit eigenen Erfahrungen, Erinnerungen, kramen etwas hervor, das wir vielleicht lange Zeit verdrängt haben. So treten wir über das Bild in einen Dialog mit uns selbst. Die Arbeit „Suche“ funktioniert ebenfalls assoziativ. Und wieder ist der Titel irgendwie bezeichnend, jedoch nicht präzise. Auch das Abgebildete ist soweit vereinfacht und aus seinem ursprünglichen Kontext entfernt, dass man nur mutmaßen kann: Vielleicht ein Flüchtlingsboot in den tiefen des Meeres auf der Suche nach Land? Ein Rettungsboot nach einem Schiffbruch? Oder einfach eine Gruppe von Menschen in einem Boot – Ort und Zeit unbekannt. Ingmar Alge wirft Fragen auf, Antworten gibt er keine. Auch seine Porträts sind durch das Verwischte, fast schon gewalttätig übermalte Gesicht nicht identifizierbar. Anonym und unheimlich entfalten sie ihre maskenhafte Wirkung. Das Essentielle, die Funktion eines Porträts als Abbild einer Persönlichkeit entfällt. Und trotzdem fragen wir uns gerade deshalb „Wer ist diese Person? Was macht sie aus? Wo lebt, arbeitet, wirkt sie? Was ist seine / ihre Geschichte?“. „Meine Bilder sollen mehr wissen als ich“ – so oder so ähnlich äußerte sich einst Gerhard Richter. Es macht den Anschein als gelte das auch für die Malerei von Ingmar Alge.
Ingmar Alge wurde 1971 in Höchst in Österreich geboren. Er lebt und arbeitet in Dornbirn/Vorarlberg.
Vernissage: Freitag, 25. Januar 2019, ab 18:00 Uhr
Ausstellungsdaten: Freitag, 25. Januar – Samstag, 9. März 2019
Zu Kuckei + Kuckei
Bildunterschrift: Ingmar Alge, »Protest«, 2018, Oil on canvas, 182 x 272 cm
Ausstellung Ingmar Alge – Kuckei + Kuckei | Contemporary Art – Zeitgenössische Kunst in Berlin – ART at Berlin