bis 13.08. | #1416ARTatBerlin | KW Institute for Contemporary Art präsentiert seit dem 02. Juni 2017 die Ausstellung „Limits to Growth“ des Künstlers Nicholas Mangan.
Limits to Growth ist die erste umfassende Werkschau von Nicholas Mangan in Europa. Der 1979 im australischen Geelong geborene Künstler schafft subtile Erzählungen zu den entscheidenden globalen Fragen unserer Zeit mittels eines fundierten Blicks auf die Phänomene, die Mangans Herkunftsregion, dem Asien-Pazifik-Raum, eigen sind. Die Ausstellung bespielt das dritte und vierte Stockwerk der KW Institute for Contemporary Art und besteht aus vier großformatigen Installationen: Nauru—Notes from a Cretaceous World, A World Undone, Progress in Action sowie der titelgebenden neuen Auftragsarbeit Limits to Growth, die allesamt raumgreifende Arrangements aus bewegten Bildern zwischen 2009 und 2017 zusammenführen.
Limits to Growth führt das Publikum in multiple Szenarien, die Objekte und Film auf essayistische Weise einsetzen und so Geschichten freilegen, in denen Australien eine entscheidende Rolle spielt. Im Lauf der vergangenen Jahrzehnte war der Kontinent in weitreichende Kämpfe verstrickt, wie u. a. territoriale Bemächtigungen, die zu Umweltschäden, ökonomischer Ausbeutung und politischer Destabilisierung benachbarter Länder führten. Mangan setzt eine künstlerische Sprache ein, die Symbolismus auf komplexe Weise mit dokumentarischen Mitteln verwebt und weitreichende Interdependenzen zwischen Menschheit, Technologie, Umwelt und Wirtschaftssystemen ans Licht bringt. Jede einzelne der gezeigten Arbeiten ist um Ereignisse aus der jüngeren überregionalen Geschichte angesiedelt, aus denen Mangan die wesentlichen Aspekte herausfiltert, bevor er sie in seine Erzählungen eingliedert. „Ich arbeite mit Artefakten, die das Ergebnis der jeweiligen geschichtlichen Darstellung oder einer damit im Zusammenhang stehenden Anekdote sind, seien dies nun Bilder, Video- oder physisches Material, dem auf irgendeine Weise der Nachhall des spezifischen Ereignisses anhaftet“, so der Künstler über seine Praxis.
Drei der großformatigen Installationen werden auf der dritten Etage der KW gezeigt. Nauru— Notes From a Cretaceous World und Dowiyogo’s Ancient Coral Coffee Table sind Teil eines Werkkomplexes, der sich auf die einander überlagernden Erzählungen über den Inselstaat Nauru, einem Teil Mikronesiens, bezieht. Die kleine Insel kam über Nacht in den 1970er-Jahren zu Reichtum, wurde gar zum Staat mit dem zweithöchsten Pro-Kopf-Einkommen der Welt, als dortige Phosphatvorkommen in den aus zersetzter Meeresfauna und -flora sowie Guano (angesammelten Exkrementen von Meeresvögeln) entstandenen Kalksteinlandschaften erschlossen wurden. Beide Rohstoffe sind über Millionen von Jahren hinweg verdichtet worden und machten das Erscheinungsbild der Insel aus. In den 1920er-Jahren begann die British Phosphate Commission mit dem Phosphatabbau. Der Rohstoff wurde nach Australien, Großbritannien und Neuseeland verkauft, wo er als Dünger in der Landwirtschaft diente. Nach der Unabhängigkeit Australiens führte die nauruische Regierung den Phosphatabbau in einem Ausmaß fort, das der Insel zu enormem Wohlstand verhalf. Im Jahr 1977 begann die nauruische Regierung mit dem Bau des damals höchsten Gebäudes im Geschäftsviertel von Melbourne und demonstrierte damit ihre rasanten wirtschaftlichen und politischen Expansionsbestrebungen. Drei riesige, aus Kalkstein gefertigte Pinakeln wurden aus Nauru nach Melbourne transportiert und vor dem Wolkenkratzer installiert, um den wirtschaftlichen Erfolg der Inselnation zu symbolisieren. Bereits kurz nach dem Jahr 2000 waren die Phosphatvorkommen mehr oder weniger erschöpft. Aufgrund von Missmanagement und Korruption geriet die Regierung Naurus in eine finanzielle Notlage, die über zahlreiche Kredite in den Staatsbankrott führte. Alternative Wirtschaftsmodelle wurden ausprobiert: vom Ökotourismus über einen Offshore-Finanzplatz bis hin zu der seltsamen Geschäftsidee Bernard Dowiyogos, dem damaligen Präsidenten Naurus, der den verbliebenen Korallenkalkstein in Form von Kaffeetischplatten in die USA verkaufen wollte (was geheißen hätte, die letzte verbliebene physische Substanz der Insel zu verkaufen). Mangan verwebt die unterschiedlichen Vermächtnisse Naurus zu einer facettenreichen Installation, die im derzeitigen Status der Insel als Lager für Asylsuchende gipfelt.
Für die neue Auftragsarbeit Limits to Growth konfrontiert Mangan die konzeptuellen Implikationen zweier Währungsordnungen miteinander: die antike Währung „Rai“ der mikronesischen Insel Yap und die virtuelle Kryptowährung „Bitcoin“ des 21. Jahrhunderts. Die Steine der antiken Währung sind kreisrunde Felsplatten aus Kalkstein, aus deren Mitte ein rundes Loch geschnitten ist. Der Wert der Steine ist nicht nur an die Handwerkskunst und die Anstrengung, die in ihre Herstellung geflossen ist, sondern in manchen Fällen auch an die Menschenleben gebunden, die ihr Transport von der 400 km entfernten Nachbarinsel Palau gekostet hat, aus deren Steinbrüchen sie stammen. Auch wenn sie auf See verlorengingen, behielten die Rai ihren Wert und nahmen so den virtuellen Status des Tauschwerts, wie er heute gängig ist, vorweg. Die neueste Erweiterung des Projekts, die in diesem Jahr entstand, schöpft aus der Funktion und Geschichte der Raisteine sowie aus der Erzählung des irisch-amerikanischen Kapitäns David O’Keefe, der im Jahr 1871 auf der Insel landete, um den Einheimischen mit Fremdwährung und neuweltlichem Trödel ihre wertvolle Kopra (getrocknete Kokosnuss) abzuhandeln. O’Keefe versuchte, sich in das örtliche Umfeld einzuschleichen, indem er neue Herstellungsmethoden einführte, die den Prozess von Fertigung und Transport des Steingelds weiter auffächerten und zu Inflation und anschließender Abwertung der Steinwährung Yaps führten. Die täglich sich häufenden Digitaldrucke von Fotografien, die sich im Ausstellungsraum ansammeln, bilden einen Index der Wertschöpfung und des Energieverbrauchs, die durch das Bitcoin-Mining in Australien entstehen, wo das Projekt im Jahr 2016 seinen Ausgang nahm. Limits to Growth reagiert auf die Logik der Bitcoin-Währung und das Überangebot der O’Keefe-Steine. Die gedruckten Bilder häufen sich im Laufe der Ausstellungsdauer in dem Tempo, in dem die Bitcoin-Mining-Transaktionsvorrichtung in Betrieb ist. Jedes Bild ist mit Informationen über Zeitpunkt, Datum, Bitcoin-Wert sowie dem für die Produktion der Bilder benötigten Energieverbrauch versehen, um die Reproduktion zu ermöglichen.
Bei World Undone handelt es sich um einen Film, der in Zeitlupe und HD mit einer digitalen Kamera aufgenommen wurde und eine 12-minütige Sequenz von durcheinander wirbelnden Zirkonpartikeln wiedergibt – ein Material, das 4,4 Milliarden Jahre alt ist und üblicherweise bei der Uran-Datierung eingesetzt wird. Der Film zeigt ausschließlich zermalmte Felspartikel im Luftstrom. Die Zirkonkristalle sind geologische Nachweise aus der Zeit, als die Erde zu erkalten und zu tektonischen Platten zu erstarren begann, die eine harte Hülle um den geschmolzenen Kern bildeten. Dieses Ereignis markiert einen bedeutsamen Punkt in der Verwandlung des Planeten aus den Gas- und Materierückständen des Urknalls in ein festes Gebilde. Mangan arrangiert hier eine Parallele von Erd- und Filmzeit, die den Makrokosmos der geologischen Entwicklung des Planeten mit dem Mikrokosmos unserer Zeiterfahrung im Film in Beziehung setzt. Durch diesen poetischen Ansatz und die Enthüllung, welche wesentliche Rolle das Material spielt, macht uns die Arbeit die unendliche Tiefe und Größe des Raumes bewusst sowie die schier unbegreifliche Vorstellung, welchen Platz wir darin einnehmen.
Das gesamte vierte Stockwerk der KW ist der Arbeit Progress in Action gewidmet, einer vielschichtigen Installation, die ihren Bezugspunkt im Bürgerkrieg des Jahres 1989 auf der Insel Bougainville findet, die zu Papua Neuguinea gehört. In den 1970er-Jahren richtete der australische Konzern Conzinc Rio Tinto eine Kupfermine auf der Insel ein – zu jenem Zeitpunkt die größte Tagebaustätte der Welt. Die Firma begann mit dem Abbau, ohne die indigene Bevölkerung der Insel zu konsultieren – eine damals übliche Vorgehensweise. Die Praktiken des Bergbaukonzerns brachten die Menschen von Bougainville in große Not. Ökologische wie ökonomische Schäden sowie kriminelle Arbeitsbedingungen schlossen die InselbewohnerInnen von den ungeheuren Profiten aus, die die Ausbeutung ihrer Ressourcen erbrachten. Schließlich 12/19 rebellierte ein Teil der Bevölkerung, der in der Folge unter dem Namen Bougainville Resistance Army (BRA) bekannt wurde. Sie sprengten das Kraftwerk der Mine in die Luft und blockierten den Zugang der Mine für MitarbeiterInnen von Conzinc Rio Tinto. Letztlich zwang die Regierung von Papua Neuguinea, die einen großen Anteil der Bergbaulizenz einstrich, die InselbewohnerInnen ins Exil, indem sie ein Embargo einrichteten, das der Inselbevölkerung Nahrungsmittel, Brennstoff und Medikamente vorenthielt. In ihrer Verzweiflung verlegten sich die EinwohnerInnen von Bougainville wieder auf die im Überfluss vorhandenen Kokosnüsse als Quelle für Nahrung und Brennstoff und raffinierten sogar Kokosöl zu Biotreibstoff. Kokosnüsse wurden zur materiellen Grundlage und zur Essenz des Widerstands. Mangans vielfältige Installation reinszeniert die von der BRA betriebene Werkstatt der improvisierten Ölraffinerie und zweckentfremdet auf symbolische Weise die Energieerzeugungsanlage des umgebauten Generators, der mit Kokosnussöl betrieben wurde. Der Generator treibt einen Filmprojektor an, der die Montage von gefundenem Filmmaterial über den Konflikt um die Mine zeigt, welche Mangan vor allem in den Archiven der australischen Fernsehkommission und dem Australian National Film and Sound Archive entdeckte.
Nicholas Mangan kreiert in seinen Arbeiten beständig beunruhigende Szenarien, die auf seiner kontinuierlichen Beschäftigung mit dem Wissensgewinn aus Objekten, Kultur und Naturphänomenen beruhen. Obwohl Mangans künstlerische Praxis in erster Linie auf der Erforschung der spezifischen Geschichte, Landschaft und sozialen Bedingungen des AsienPazifik-Raums basiert, bleiben die grundsätzlichen Überlegungen in seinen Arbeiten doch stets für die globalisierte Welt im Allgemeinen relevant, etwa hinsichtlich der komplexen Vernetzungen von Weltwirtschaft, Rohstoffgewinnung, Wohlstandsverteilung oder auch Arbeitspolitik.
Nicholas Mangan
(*1979 in Geelong, AU) lebt und arbeitet in Melbourne. Mangans Arbeit hinterfragt über eine Vielfalt von Objekten gängige Narrative und wurde im Rahmen zahlreicher Gruppenausstellungen international präsentiert, u.a.: Let’s Talk About the Weather: Art and Ecology in a Time of Crisis, Sursock, Beirut (2016); The Eigth Climate (what does art do?), Gwangju Biennale, Gwangju, KR (2016); Beyond 2°, Museum of Contemporary Art, Santa Barbara, US (2016); Riddle of the Burial Grounds, Extra City Kunsthal, Antwerpen, BE (2016); 9. Bienal do Mercosul, Porto Alegre, BR. Zu seinen jüngeren Einzelausstellungen zählen: Limits to Growth, Institute of Modern Art (IMA), Brisbane, AU und Monash University of Melbourne (MUMA), Melbourne (2016); Other Currents, Artspace, Sydney (2015); Ancient Lights, Chisenhale Gallery, London (2015).
Vernissage: Donnerstag, 01. Juni 2017, 19:00 bis 22:00 Uhr
Ausstellungsdaten: Freitag, 02. Juni bis Sonntag, 13. August 2017
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Bildunterschrift: Nicholas Mangan, Nauru – Notes from a Cretaceous World, 2010, Videostill / video still
Ausstellungen Berliner Galerien: Nicholas Mangan – Limits to Growth – KW Institute for Contemporary Art | ART at Berlin