bis 04.11. | #4003ARTatBerlin | Galerie Kornfeld präsentiert ab 14. September 2023 die Ausstellung Creatio Ex Aliquo des Künstlers Martin Spengler.
Die Kornfeld Galerie Berlin zeigt unter dem Titel Creatio Ex Aliquo Arbeiten von Martin Spengler. Neue Reliefs und Skulpturen füllen den Raum, die Spengler in seiner unverwechselbaren Technik aus Wellpappeblöcken ausschneidet, mit Gesso bemalt und anschließend die Schnittkanten mit Graphit betont. Seine Werke laden dazu ein, über die Veränderungen und Ambivalenzen der deutschen Gesellschaft im Laufe der Zeit nachzudenken und sich mit aktuellen Fragen unseres Zusammenlebens auseinanderzusetzen – selbst vordergründig „harmlose“ Motive wie ein Bild des Kolosseums in Rom, die Darstellungen von sich mächtig brechenden Wellen oder einer La-Ola-Welle im Stadion verlieren ihre Unschuld, doch auch sie erzählen von der Macht der Masse.
Die Ausstellung „creatio ex aliquo“ versammelt neue Reliefs und Skulpturen von Martin Spengler, die er in seiner unverwechselbaren Technik aus Wellpappeblöcken herausschneidet, mit Gesso, einer Grundierung für Gemälde, bemalt und dann die Schnittkanten mit Graphit betont.
Der Ausstellungstitel ist angelehnt an das Lateinische creatio ex nihilo, und damit an die Frage, ob „Etwas“ aus „Nichts“ entstehen kann. Indem Martin Spenglers in seinem Ausstellungstitel diesen Begriff abwandelt in „creatio ex aliquo“ verneint er die Idee eines voraussetzungslosen künstlerischen Schaffens, daran an Andreas Großmann, wissenschaftlicher Leiter des Forums interdisziplinäre Forschung an der TU Darmstadt anknüpfend, der bemerkt: „Kreative Prozesse setzen nicht im Nirgendwo an, sie beginnen nicht mit nichts, sie setzen vielmehr etwas voraus, knüpfen an etwas an, das sie transformieren, reformieren oder gar radikal revolutionieren.“
Nachdem der Fokus seines Schaffens in den vergangenen Jahren nahezu ausschließlich auf Architekturen lag, erweitert Spengler in seinen aktuellen Werken sein visuelles Vokabular. Neben Hochhäusern wie dem Collini-Center in Mannheim, einem Parkhaus oder einem Turm des Kölner Doms finden sich auch Bilder einer Achterbahn, des Colosseums in Rom und machtvoll sich brechender Wellen. Subtil laden diese Werke die Besucher*innen ein, über die Veränderungen und Ambivalenzen der deutschen Gesellschaft im Laufe der Zeit nachzudenken und sich mit aktuellen Fragen unseres Zusammenlebens auseinanderzusetzen.
In seinem Text „BRD Noir“ beschreibt Björn Vedder die Kunst von Martin Spengler wie folgt:
Die Arbeiten von Martin Spengler beschäftigen sich mit dem Zusammenspiel von sozialen und architektonischen Strukturen. Eine besondere Rolle spielt dabei die Auseinandersetzung mit der alten BRD, in der Spengler, 1974 in Köln geboren, aufgewachsen und sozialisiert worden ist. Beispielhaft dafür sind etwa die beiden Reliefs vom Mannheimer Collini-Center oder die Skulptur vom Kölner Dom.
Spengler ist Meisterschüler von Karin Kneffel und schneidet seine Reliefs und Skulpturen aus Wellpappeblöcken heraus. Die Schnittkanten bearbeitet er mit Grafit. So entsteht ein flirrendes Bild mit scharfen Kontrasten, die die Kleinteiligkeit der Stadtansichten in ein Labyrinth für das Auge verwandeln. Das wechselnde Licht der Sonne wirft wandernde Schatten auf die Arbeiten, deren fast monochrome Farbe mit der Farbe des Raumes kommuniziert. Ihre frappierenden Aspekte ziehen den Blick auf sich. Das Collini-Center stürzt ein oder steht auf der falschen Seite des Rheins – weil Spengler das Bild gespiegelt hat. Beim Dom nimmt sich ein Turm für die gesamte Kathedrale aus. Die Achterbahn (um noch weitere Arbeiten der Ausstellung hinzuzuziehen) fährt auf grotesk verbundenen Gleisen. Das Parkhaus ist nicht zu gebrauchen. Das Colosseum präsentiert sich unverstellt wie auf einer Postkarte von Anno Dazumal. Als solch ein Quell der Augenlust benötigen die Arbeiten eigentlich keiner weiteren Erklärung mehr. Sie schließen an das Bildgedächtnis ihrer Betrachter*innen an und spinnen sich mit ihnen fort wie die in der Ausstellung gezeigte Welle.
Dennoch gibt es noch eine zweite Ebene, die die Arbeiten über die memorierten Bilder mit dem kulturellen Gedächtnis und der gesellschaftlichen Analyse verbindet. Da ist zum einen das Motiv des Rheins, oder Vater Rheins, wie Hölderlin sagt, der „Stillwandelnd sich im teutschen Lande/ Begnüget, und das Sehnen stillt / Im guten Geschäffte, wenn er das Land baut / und liebe Kinder nährt / In Städten, die er gründet.“ Mit dem Motiv des deutschesten aller Flüsse, das eine ganze Serie von Bildern prägt, rücken die deutsche Kultur und Geschichte ins Bild, aber auch eine romantische Sichtweise darauf.
Das Hochhaus, das Spengler neben dem Rhein stellt (mal links, mal rechts) ist auch eines von vielen. Denn es gibt eine ganze Reihe von Rheinbildern mit Hochhäusern, nicht nur das Collini-Center, sondern auch das Colonia-(heute: Axa-) Hochhaus in Köln oder den Ringturm daselbst. Mit ihnen rücken nicht nur die deutsche Epoche in die Fokus, in der Spengler aufgewachsen ist, sondern auch soziale Fragen, die damit zusammenhängen – zumal die Art Hochhäuser, die Spengler aussucht, als Gesellschaften en miniature geplant worden sind, als utopische Wohnmaschinen, die Wohnungen und Büros, Kulturzentren und Schwimmbäder, Supermärkte und Restaurants unter einem Dach vereinen.
Während ihres Bestehens ist die westdeutsche Republik von Helmut und Kohl und den verbeamteten Erben von 1968 oft belächelt worden, als Staat mit einer Krämerseele und als Ansammlung „fettprangender Provinzen zwischen Karneval und Weinernten, mit Metzgereien ausstaffiert wie mit Boutiquen und so übersättigt wie verängstigt“. Vierzig Jahr später, im Licht von Hartz IV und einer nicht endenden Welle kleinerer und größerer Krisen, ändert sich das Bild indes und vieles, was damals belächelt wurde, wird heute als zivilisatorische Errungenschaft vermisst.
Spenglers Arbeiten spielen auf diese neue BRD-Romantik an, ohne ihr jedoch zu verfallen. Denn ihre verwirrenden Labyrinthe, ihre einstürzenden Neubauten und frappanten Aspekte rufen auch das Bizarre und Groteske wieder ins Gedächtnis, das die BRD eben auch auszeichnete: die Straßensperren und Sozialistengesetze, der offene Chauvinismus und die feiste Selbstzufriedenheit. Eine schwarze Romantik der westdeutschen Republik. BRD Noir. Damit fordert Spengler uns nicht nur heraus, in die Geschichte zurück und von damals wieder ins Heute zu blicken, sondern uns auch zu fragen, wie wir heute eigentlich leben wollen.
Martin Spengler studierte bei Karin Kneffel Malerei an der Hochschule für Künstler in Bremen, im Rahmen eines Erasmus-Programms ein Jahr lang Bildhauerei bei Manfred Pernice an der Akademie der Bildenden Künste in Wien und war Meisterschüler und Assistent von Karin Kneffel an der Akademie der Bildenden Künste in München. Er erhielt mehrere Auszeichnungen und Preise, darunter seit 2012 zwei Atelierstipendien der Stadt München und des Freistaats Bayern. Seit 2005 sind seine Werke auf Ausstellung in Museen, Institutionen und Galerien zu sehen, darunter in der Nationalgalerie in Prag, der Kunsthalle Emden, dem Leopold-Hoesch-Museum in Düren und dem Gustav-Lübcke-Museum in Hamm. Zuletzt waren seine Werke auf Ausstellungen im Museum Bensheim (2021), im Museum Heidenheim (2023) und im Museum Fürstenfeldbruck (2023) zu sehen. Im Rahmen des Festivals „papier & klang“ sind Werke von ihm noch bis zum 3. September im WillyBrandt-Haus in Berlin zu sehen.
Text : Hans Krestel.
Vernissage: Donnerstag, 14. September 2023, 18 bis 21 hrs
Ausstellungsdaten: Donnerstag, 14. September bis Samstag, 04. November 2023
Zur Galerie
Bildunterschrift: Martin Spengler, Collinicenter, 2022, Gesso, graphite and permanent marker on corrugated board, 221 x 41 x 42 cm
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