bis 08.11. | #4817ARTatBerlin | Aurel Scheibler präsentiert ab 11. September 2025 die Grupenausstellung SLUR der Künstler*innen David Schutter, Tom Chamberlain, Jack Pierson, Andy Warhol, Alice Neel und Öyvind Fahlström.
Das englischeWort „Slur“ ist einer jener Begriffe, die je nach Kontext, ganz unterschiedlich verstanden werden können.In der Musik etwa ist damit ein Bindebogen über den Noten und mit ihm verbunden der Hinweis gemeint, das sie reibungslos, ineinanderfliessend gespielt werden sollen.Slur ist zudem ein äußerst beleidigender und sozial inakzeptabler Begriff, der auf Verunglimpfung und Beleidigung abzielt. Auch ist mit dem Begriff die unartikulierte, undeutliche oder falsche Aussprache gemeint.
Tom Chamberlain Slur, 2019 Acryl auf Leinwand 90 x 100 cm © Tom Chamberlain
Slur ist auch der Titel des Bildes von Tom Chamberlain in dieser Ausstellung. Slur ist ein Werk von ephemerer Gestalt: das Sehvermögen wir gefordert, denn in ihrer Erscheinung markiert das Werk Chamberlains die Grenze zwischen dem Nichts und dem Sein.Die Leinwand offenbart keinerlei Struktur und der Farbauftrag in unzähligen dünnen Schichten zeigt keine Pinselspuren. Das soeben vermeintlich Gesehene löst sich wieder auf und das Auge irrt auf der Suche nach Halt auf der glatten Fläche umher.
Die Werke von David Schutter, so wie das hier gezeigte Gemälde AIC G 219, offenbaren wie das Bild Chamberlains auch, zunächst wenig. Aus einiger Entfernung betrachtet erscheint es als quasimonochromatische Leinwand, beim Herantreten schwindet der Eindruck des Minimalen vor dem der feinen farblichen Abstufungen, dem subtilen Zusammenspiel der Nuancen und dem deutlich sichtbaren Duktus.
David Schutter AIC G 219, 2014 Öl auf Leinwand 41 x 37,8 cm © David Schutter
Der Ausgangspunkt eines jeden Werkes von Schutter ist die intensive Auseinandersetzung mit älteren Gemälden.Meist sind es niederländische oder französische Gemälde vergangener Jahrhunderte die er akribisch analysiert, doch verrät das kryptische Akronym des Werktitels zu wenig, als das ein Zusammenhang mit dem Referenzbild sichtbar würde. Schutter erforscht vor Ort im phänomenologischen Sinne die Erfahrung, die er bei der Betrachtung desWerkes macht und überträgt diese, und die analytische Beschäftigung mit den Umständen seiner Entstehung, in seines eigenenWerk.
Alice Neel Cyrus the Gentle Iranian, 1976 Öl auf Leinwand 101,6 x 76,2 cm © The Estate of Alice Neel
Wenn wir Kunstwerke im philosophischen Sinne als Repräsentanten betrachten, rückt die Frage in denVordergrund, was sie eigentlich „vertreten“.Ein Kunstwerk ist niemals nur eine materielle Formwie die Leinwand, das Papier und die Farbe–, sondern erscheint als Ausdruck von etwas Abwesendem: einer Idee, einem Gefühl, einer Erfahrung oder sogar einer transzendenten Wahrheit. In der Zeichnung eines Kopfes von Andy Warhol, in dem Porträt in Öl eines jungen Mannes von Alice Neel und auch in dem fotografischen Abbild eines Körpers von Jack Pierson wird eine Person in ihrer Abwesenheitpräsent: Alice Neel konfrontiert uns mit dem durchdringende Blick des jungen Mannes, von dem wir lediglich seinenVornamen kennen,derlässig in einem Sessel posiert unddabei eineüberzeugende Ruhe ausstrahlt. Andy Warhols´Zeichnung eines jungen Mannes, von dem wir nicht einmal denVornamen kennen, kommt sehr viel unpersönlicher und starr daher, denn der Strich ist auf die Kontur reduziert. Die jeweils für Neel undWarhol bekannten künstlerischen Eigenheiten finden sich also in den beiden Werke wieder.
AndyWarhol ohne Titel, 1956/57 Kugelschreiber auf Papier 43,7 x 35,8 cm
Anders ist das bei dem Werk von Jack Pierson: zwar ist das Bild in seiner Inszenierung und dem gewählten Ausschnitt durchaus typisch für seine künstlerische Handschrift, doch liegt es in der Natur des Mediums,das es eher wie eine nüchterne Bestandsaufnahme des Gesehenen wirkt. Wäre die Größendarstellung des abgebildeten Körpers in der Jeans nicht jenseits der Realität, wären wir uns vielleicht nicht einmal der Abbildhaftigkeit des Werkes, seinem Stellenwert als Artefakt bewusst. Es gibt zwischen Werk und Betrachter keinerlei Distanz mehr und der Blick wird hier zu einer nahezu haptischen Erfahrung.
Jack Pierson BLUE JEANS (NATHAN), 2020 Archival pigment print | Ed.1/5 101 x 152 cm © Jack Pierson
Abseits dessen findet sich das Werk Nightmusic 4 von Öyvind Fahlström. Er schuf es als eines seiner letzten Werke im Jahre 1976. Fahlström, ein durch und durch politisch denkender Künstler, war ein Chronist:er sammelte Informationen und Fakten, stellte Verbindungen her und bereitete all das in seinenWerken künstlerisch auf.
Er war zudem ein Visionär, weil er das,was er vorfand weiter dachte und so die Szenarien einer düsteren Zukunft erahnte,wie sie in Nightmusic 4 dargestellt wird. Fahlströms Werke öffnen einen Resonanzraum für Sinn,der nicht auf den stofflichenTräger reduziert werden kann. Ihre Repräsentationskraft liegt also nicht im Abbilden,sondern im Vergegenwärtigen: Sie bringen Bedeutungen hervor, die im Betrachten erst lebendig werden.
Vernissage: Donnerstag, 11. September 2025, bis 21:00 Uhr
Ausstellungsdaten: Donnerstag, 11. September – Samstag, 8. November 2025
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Bildunterschrift: Night Music 4: Protein Race Scenario (Words by Trakl, Lorca, Plath and Pietri), 1976 Variable painting, magnetic elements, acrylic and ink on vinyl and shaped metal board 161 x 224 cm © 2025 SharonAvery-Fahlström /VG Bild-Kunst,Bonn,Foto:Gunter Lepkowski
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