bis 15.06. | #4282ARTatBerlin | Galerie Thomas Schulte präsentiert ab 27. April 2024 die Ausstellung New Edinburgh Encyclopedia, 1825 des Künsters Matt Mullican.
Anlässlich des diesjährigen Gallery Weekend Berlin präsentiert die Galerie Thomas Schulte eine Einzelausstellung mit Installationen und Editionen von Matt Mullican. In Aneinanderreihungen von Bildern und Objekten aus Metall, Papier und Glas unterstreicht New Edinburgh Encyclopedia, 1825 den seit langem etablierten enzyklopädischen Ansatz des Künstlers und seine Auseinandersetzung mit Systemen des Wissens, der Ordnung und der Repräsentation. Während die ausgestellten Werke – die in den 1990er Jahren entstanden sind – auf eine fast 200 Jahre alte Enzyklopädie zurückgreifen, verweisen sie auch auf die – virtuellen und realen – Wege, auf denen wir versuchen, die Welt zu kategorisieren, zu erfassen und ihr einen Sinn zu geben.
Das Werk, auf das sich der Titel der Ausstellung bezieht, besteht aus zwei Teilen, die ihrerseits mehrere Komponenten enthalten: 449 Magnesium-Reliefplatten, die den Inhalt des titelgebenden Buches tragen, und die daraus entstandenen Abreibungen auf Papier. Die selten zusammen gezeigten Werke sind eine physische Übertragung und Reproduktion von Bildern und Informationen, die durch ihre Nähe und die verschiedenen Räume der Galerie inszeniert werden. Die Metallplatten werden zu einer Art Ursprung – die Quelle, von der immer wieder Reproduktionen hergestellt werden können. Sie sind auf schmalen Regalen gitterartig in langen, parallelen Reihen angeordnet, die sich alphabetisch nach oben und unten schlängeln, wodurch ein Ordnungsprinzip eingeführt wird. Darin finden sich Illustrationen, Pläne und Diagramme zu Themen aus dem Ingenieurwesen, der Architektur, der Anatomie, dem Gartenbau und anderem praktischen Wissen. Der Rahmen, den dieses historische Nachschlagewerk bietet, strukturiert und konstituiert den Raum, was an ein wissenschaftliches Museum oder eine Bibliothek erinnert und die Rolle und den Zweck eines enzyklopädischen Modells bei der Gestaltung unserer Realität in Betracht zieht.
In der vorderen Ecke der Galerie und in den angrenzenden Fensterräumen befinden sich die Abdrucke, die von den Platten mit Hilfe von Farbstiften auf Papier hergestellt wurden – Drucke, Zeichnungen und Gemälde zugleich. Mullican bezeichnet die Reibung als das erste Medium zur Herstellung von Reproduktionen und verortet diese Arbeiten in einer langen Geschichte der Übertragung und des Austauschs von Bildern, Texten und Daten. Die Darstellungen, die aus diesem Prozess hervorgehen, sind in gewisser Weise getreue Kopien, aber auch etwas anderes: Übersetzungen von Zeichen von einem Objekt oder Material auf ein anderes.
In Untitled (20 Glaskugeln), das neben den Metallplatten in einem ähnlichen Rastersystem ausgestellt ist, hat eine andere Art der Katalogisierung stattgefunden. Das eigene Referenzsystem des Künstlers, seine Kosmologie, ist mit rotem Marker auf Kugeln abgebildet, die in Reihen auf einem Holztisch angeordnet sind. Mullicans Kosmologie (von denen es zwei gibt) steht im Zentrum seiner Praxis und nimmt in Form von Piktogrammen, Stadtplänen und Diagrammen in einer breiten Palette von Medien, Materialien und Maßstäben Gestalt an. Die erste Kosmologie, die er entwickelt hat, befasst sich mit grundlegenden Fragen über die Natur der Existenz von vor der Geburt bis nach dem Tod, während die zweite aus fünf Welten besteht, verschiedenen Wahrnehmungsebenen, die jeweils mit unterschiedlichen Symbolen und Farben assoziiert werden: Rot entspricht der Welt des Subjektiven, Schwarz der Welt der Symbole und der Sprache, Gelb der „gerahmten“ Welt – Kultur, Kunst und das Jetzt -, Blau der „ungerahmten“ Alltagswelt und Grün der materiellen Welt. Ähnlich enzyklopädisch ist es ein Versuch, die scheinbar objektive Welt mit den vertrauten Alltagselementen eines Diagramms oder einer Karte aufzuschlüsseln und zu verstehen, während es eine sehr persönliche Sichtweise bietet – handgezeichnet und kryptisch.
Kreisformen und Kugeln, geometrische Grundformen, tauchen in Mullicans Werk häufig auf und stellen natürlich einen weiteren historischen Bezug zu kosmologischen Illustrationen und Modellen im Allgemeinen her. Als Kugeln aus transparentem Glas geben sie dem Raum eine Form, auch wenn der geschlossene Kreis eine scheinbare Offenheit annimmt, durch die die Trennung zwischen Innen und Außen verschwimmt und die Hierarchie der Karte in Frage gestellt wird. Die Kosmologie des Künstlers und der reale Raum gehen ineinander über, indem Korrespondenzen zwischen den runden Objekten und den zahlreichen kreisförmigen Abbildungen auf den Metallplatten entstehen. Weniger verankert und abstrakter als die dauerhaften Metallbilder, zeigen die Glasobjekte auch eine gewisse Fragilität, eine illusorische Qualität. Fast wie eine Kristallkugel können sie als Symbol für die Suche nach Sinn und Antworten auf existenzielle Fragen gesehen werden, denn das, was aus ihnen hervorgeht, bleibt für verschiedene Lesarten offen.
Die Zusammenführung dieser Werke im Rahmen der New Edinburgh Encyclopedia, 1825, zeigt den Ursprung und die Kontinuität von Bildern auf, die über Jahrhunderte hinweg entstanden sind – von ihren Reproduktionen und Transformationen bis hin zu den Rahmen, die sie schaffen – und lässt gleichzeitig Raum für alternative Modelle. Die Ausstellung bietet einen konzentrierten und doch umfassenden Blick auf eine jahrzehntelange Praxis, die weiterhin das gleichzeitige Streben und die schiere Unmöglichkeit widerspiegelt, das Leben, die Welt – ob subjektiv oder universell – in ihrer Gesamtheit zu erfassen und darzustellen.
Text von Julianne Cordray
Ausstellungsdaten: Samstag, 27. April bis Samstag, 15. Juni 2024
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Bildunterschrift Titel: Matt Mullican, New Edinburgh Encyclopedia, 1825, photo: Stefan Haehnel, Courtesy: Thomas Schulte
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