bis 31.05. | #4620ARTatBerlin | Sexauer Gallery präsentiert ab 28. März 2025 die Ausstellung „Hallucinogenic Nightmare Dream“ der Künstlerin Hannah Parr.
Hallucinogenic Nightmare Dream
„Manche sagen die Ahnen leben in den Trommeln“, sagt Hannah Parr, als sie mir ihre Arbeit vorstellt. Geboren im Vereinigten Königreich, lebt und arbeitet Parr heute in Zürich, nachdem sie zuvor Zeit in Berlin und Santo Domingo verbracht hat. In den letzten Jahren hat sie ihre Praxis der Arbeit mit Absperrlatten gewidmet, einem Material, das häufig auf Schweizer Baustellen zu finden ist. Sie findet sie gestapelt auf der Straße, manchmal mit Unterstützung von Bauarbeitern, die ihr beim Sammeln helfen.
In ihrem Atelier kümmert sich Parr sorgfältig um jede Latte, reinigt sie zunächst und schneidet sie dann mit ihrer Tischsäge zu. Diesen Prozess beschreibt sie als sowohl intim als auch rhythmisch und nennt ihn eine „Handlung des Schneidens, um Wahrheiten freizusetzen und zu enthüllen“ – eine Transformation des Holzes von einem Zustand in einen anderen, ähnlich einem Instrument, das erst durch das Spielen sein volles Potenzial entfaltet. Für sie ist der Schlüssel die Geduld: das Material den Prozess leiten zu lassen, anstatt einem festen Plan zu folgen. Sie erklärt: „Jedes einzelne zugesägte Holzstück dient als Leitfaden für die weiteren und formt das Werk. Es ist ein Rückkopplungsprozess zwischen dem Material und meinen inneren Visionen.“
Die daraus entstehenden Werke sind faszinierende, patchworkartige Kompositionen, die aus größeren Lattenstücken zusammengesetzt sind. Geleitet von ihrer eigenen inneren Logik, bilden sie Cluster unterschiedlicher Größen und erzeugen so ein dynamisches Wechselspiel aus Bewegung und Spannung über die Oberfläche. Parr beschreibt dies als ein Netzwerk verflochtener Systeme, in denen kleine Verbindungen expansive und widerstandsfähige Strukturen entstehen lassen.
Neben der Form verleihen die rot-weißen Muster und die industriell gedruckten Buchstaben auf den Latten den Werken eine rhythmische Energie. Die natürliche Farbe des Holzes, die an Kanten und Absplitterungen sichtbar wird, fügt Tiefe und Kontrast hinzu. Diese Oberflächen offenbaren Parrs anhaltendes Interesse an der Malerei – ein Interesse, das vor dieser Serie an einem Stillstand angelangt war. In ihrem Bestreben, über die traditionelle Bildsprache hinauszugehen, konzentriert sie sich auf die grundlegenden Elemente der Malerei, insbesondere Komposition und Materialität.
Ihre Verwendung gefundener Materialien erinnert an Robert Rauschenbergs großformatige Assemblagen aus Straßenobjekten, während ihre Sägearbeiten Parallelen zu Gordon Matta-Clarks „Building Cuts“ aufweisen, bei denen er verlassene Gebäude zerschnitt, um Raum, Verfall und urbane Transformation zu erforschen. Ebenso rufen die charakteristischen Streifenstrukturen Anklänge an Daniel Burens Arbeiten hervor, die räumliche und institutionelle Wahrnehmungen herausfordern.
Hallucinogenic Nightmare Dream zeigt eine Serie neu produzierter Mosaike, darunter eine zwei mal zwei Meter große Arbeit unter dem Titel Pistil – das erste großformatige quadratische Werk der Künstlerin. Bei näherer Betrachtung von ‘Pistil’ treten durch die Holzformationen mehrere wirbelnde Bewegungen hervor, die eine Neuinterpretation des traditionellen Mandalas darstellen, das üblicherweise um einen einzigen Mittelpunkt zentriert ist. Durch dieses Motiv – das Ganzheit und die Verbundenheit aller Dinge symbolisiert – offenbart Parr die visuelle Spur der Zeit, die in den Jahresringen eines Baumstammes eingeschrieben ist, und stellt durch das Einschneiden in die Latten eine neue Verbindung zu diesem Prozess her.
Bevor Parr nach Zürich zog, lebte sie in Santo Domingo, der Hauptstadt der Dominikanischen Republik, wo das Leben spontaner und sozial durchlässiger istein starker Kontrast zur hochstrukturierten Infrastruktur der Schweiz. Dieser Wechsel schärfte ihr Bewusstsein für die technokratische Natur der Schweizer Gesellschaft – eine Gesellschaft, die auf Fachwissen, Effizienz und pragmatische Entscheidungsfindung baut und sich auch im öffentlichen Raum manifestiert. Parr beschreibt Zürich als „eine Stadt, die durch Gleichförmigkeit geprägt ist. Wenn ich an Gleichförmigkeit denke, denke ich an Zugehörigkeit – und hier bin ich mit einem allgegenwärtigen Gefühl des Nicht-Dazugehörens konfrontiert. Mehr als irgendwo sonst, wo ich gelebt habe, hat Zürichs geordnete, strukturierte Landschaft in mir ein Gefühl des Widerstands geweckt.“
Durch diesen Kontrast – gleichzeitig herausfordernd und inspirierend – setzte sich Parr mit einer tiefergehenden persönlichen Reise auseinander, die in Santo Domingo ihren Anfang nahm. Dort lebend, in einer tropischen Umgebung, reflektierte sie verstärkt über die Geschichten ihrer chinesischen Mutter, die heute im Vereinigten Königreich lebt. Zum ersten Mal in ihrem Leben erlebte sie in Santo Domingo eine Anerkennung ihrer chinesischen Herkunft. Ihr Bewusstsein für diese Identiät hatte sich nicht auf natürliche Weise entwickelt, da ihre Mutter nur selten über die Vergangenheit spracheine Vergangenheit, die von Trauma, Trennung und Überleben gezeichnet war.
Während der kommunistischen Machtübernahme floh ihr Großvater in der Nacht, um den Razzien der Soldaten zu entgehen, und ließ ihre Großmutter zurück, die daraufhin inhaftiert und verhört wurde. Ihre Mutter, damals noch ein Kind, überlebte in einer provisorischen Gemeinschaft und erlebte die Trennung und den Umbruch der Migration nach Hongkong intensiver als ihre Geschwister. Aufgewachsen in einer britischen Kleinstadt, arbeitete sie unermüdlich daran, dass ihre Kinder sich anpassen konnten. Parr beschreibt dieses Spannungsfeld: „Innerhalb der Wände unseres Hauses konnte sie sie selbst sein – doch das Leben, das sie in China zurückgelassen hatte, mitsamt seinen Traditionen, wurde weitgehend verdrängt.“
Über ihre eigene Geschichte hinaus haben auch die Erfahrungen anderer ihre Perspektive tief geprägt. Während eines kurzen Aufenthalts in Berlin im Jahr 2017 arbeitete sie als freiwillige Helferin in Chios, Griechenland, um neu angekommene Mütter und Kinder zu unterstützen. Parr beschreibt dies als eine lebensverändernde Erfahrung, die sie eindringlich an ihre eigene Mutter erinnerte, die China mit kaum mehr als ein wenig Nahrung verlassen hatte.
Hallucinogenic Nightmare Dream nutzt die formalen Qualitäten von gefundenen Straßenmaterialien als alltägliche Objekte, die über Parrs individuelle Reise hinausweisen und stattdessen eine kollektive Erfahrung symbolisieren – eine, die unzählige Menschen betrifft, die von Vertreibung und Migration betroffen sind. Die Latten und Barrikaden verweisen nicht nur auf das Eindringen in Grenzen, sondern fungieren auch als Werkzeuge der Spurensuche und fordern die Betrachter dazu auf, darüber nachzudenken, was sich unter der Oberfläche verbirgt.
Parrs Arbeit bewegt sich letztlich im Spannungsfeld zwischen Struktur und Fluidität, persönlicher Erzählung und kollektiver Erinnerung. Indem sie Materialien, die zur Kontrolle von Bewegung und Zugang gedacht sind, umwidmet, unterläuft sie deren ursprüngliche Funktion und verwandelt sie in etwas Poetisches und offen Interpretierbares. Auf diese Weise hinterfragt sie die Starrheit von Grenzen – sowohl physische als auch psychologische – und lädt die Betrachterinnen und Betrachter dazu ein, die Räume, die sie bewohnen, und die darin eingebetteten Geschichten neu zu betrachten.
Vernissage: Freitag, 28. März 2025, 18 – 21 Uhr
Ausstellungsdaten: Freitag, 28. März bis Samstag 31. Mai 2025
Zur Galerie
Bildunterschrift Titel: Jungle Club, 2025, 110 x 140 cm, zugeschnittene Baustellenabsperrungslatten, Holz, Leim, Photo: Marcus Schneider, Courtesy SEXAUER Gallery.
.
Ausstellung Hannah Parr – Sexauer Gallery | Zeitgenössische Kunst in Berlin | Contemporary Art | Ausstellungen Berlin Galerien | ART at Berlin