post-title Andy Hope 1930 | COURBETTE INDUSTRIA | Galerie Guido W. Baudach | 16.09.-28.10.2023 – verlängert bis 03.12.2023

Andy Hope 1930 | COURBETTE INDUSTRIA | Galerie Guido W. Baudach | 16.09.-28.10.2023 – verlängert bis 03.12.2023

Andy Hope 1930 | COURBETTE INDUSTRIA | Galerie Guido W. Baudach | 16.09.-28.10.2023 – verlängert bis 03.12.2023

Andy Hope 1930 | COURBETTE INDUSTRIA | Galerie Guido W. Baudach | 16.09.-28.10.2023 – verlängert bis 03.12.2023

bis 03.12. | #4037ARTatBerlin | Galerie Guido W. Baudach präsentiert ab 16. September 2023 (Vernissage: 15.09.) die Ausstellung COURBETTE INDUSTRIA des Künstlers Andy Hope 1930.

Andy Hope 1930s neuer Bilderzyklus Courbette Industria, welcher im Zentrum seiner Ausstellung bei Guido W. Baudach steht, entspringt – auch wenn er weit über diese erste Inspirationsquelle hinausgreift – der eindrücklichen Kunsterfahrung mit einem Durchgehenden Pferd. In der Münchner Neuen Pinakothek hängt jenes so betitelte, seltsame, monumentale Bild von Gustave Courbet. Ein gesatteltes Pferd prescht reiterlos im vollen Galopp durch eine dunkle, ansonsten leere Waldszene. 1861 entstanden, hatte Courbet das Bild als linkes Stück einer zuweilen als „Waidmännische Trilogie“ bezeichneten Gruppe von Jagdszenen für den Pariser Salon jenes Jahres gemalt. Das Mittelstück dieses Triptychons war der Kampf der Hirsche (heute im Louvre), das rechte Bild Hirsch am Wasser (Marseille, Musée des Beaux Arts). Courbet war selbst passionierter Jäger; er hatte während eines einjährigen Aufenthalts in Frankfurt am Main 1858 bei einer Silvesterjagd im Taunus, wie er stolz seiner Schwester schrieb, einen kapitalen Hirsch erlegt. Während der Frankfurter Zeit hatte er an mehreren Parforcejagden teilgenommen. Röntgenaufnahmen haben enthüllt, dass auf dem Durchgehenden Pferd zuvor ein Piqueur (ein berittener Jäger der Parforcejagd) samt Jagdhorn abgebildet war – Courbet hatte diesen übermalt; warum, gibt bis heute Anlass zu Spekulationen. Wie ein Gespenst – wie der Hessian, der kopflose hessische Söldner aus der Legende von Sleepy Hollow – scheint der entfernte Reiter noch präsent, denn die Zügel bleiben straff in der nichtvorhandenen Hand gespannt.

Das Rätsel zu lösen, das uns Courbets Bild aufgibt, ist nicht Andy Hopes Anliegen (auch wenn er am Ende womöglich ein Stück dazu beiträgt). Ebenso wenig, wie sich an eine von musealen Weihen umwehte kunsthistorische Großreferenz namens Courbet zu delektieren. Vielmehr geht es darum, Fragen zum Verhältnis von Kunst und Politik, Avantgarde und Markt, Technik und Form, die bei Courbet gerade in solchen vermeintlich bloß gefälligen Jagdszenen mitschwangen, in ein ganz heutiges, wenn nicht morgiges Szenario zu transponieren. Der Titel Courbette Industria gibt einen Schubs, eine Richtung. „Courbette“ (frz. wörtlich „tiefe Verbeugung“, ein aufrecht auf der Hinterhand stehendes, hüpfendes Pferd in der klassischen Dressur) klingt erst einmal nach einem feminisierten Courbet, „Industria“ weist auf die technologischen Zeitumstände. Am offensichtlichsten zeigt sich beides in der Motiv-Verwandlung: Hopes Pferd ist ein robotisches Wesen mit sechs Beinen, welches gleichwohl noch klar und deutlich an die klassischen Darstellungsweisen anschließt, inklusive der Stilisierung von räumlich ausgreifendem Galopp, Sprung, geblähten Nüstern usw. Zugleich ist es wie entsprungen aus dem Spannungsfeld von Zukunftsliteratur des 19. Jahrhunderts à la Jules Verne und H.G. Wells über den Futurismus des frühen 20. Jahrhunderts (man denke an die dynamischen Bewegungsdarstellungen Giacomo Ballas) und den Science-Fiction-Maschinenwesen des mittleren und späten 20. Jahrhunderts in Film und Comic bis hin zur ganz realen KI-gesteuerten Robotik des 21. Jahrhunderts.

Nehmen wir zunächst jenes großformatige Bild aus der Serie, Courbette Industria IV, das in seinen Maßen unmittelbar an die 193 x 223 cm des Courbet-Querformats anschließt. In Schwarz-, Grau- und Silbertönen gehalten, greift Hope zwar in der links und rechts begrenzenden Darstellung stilisierter Bäume die virtuose Spachteltechnik Courbets auf. Er hegt sie jedoch durch begrenzende Übermalung ein (rechts teilweise freihändig, links durch Abkleben). Sie werden so zu minimalisierten Kürzeln der Raumbeschreibung. Das Pferd selbst ist dynamisch leicht aus der Bildmitte versetzt platziert, seine Scharniergelenke und Hydraulik-Schläuche, seine metallene Stehmähne und sein Gliederketten-Schweif sind in scharfer schwarzer Superheldencomic-Linie umrissen, die Flächen in Silber-Autolack und Schattenschwarz gehalten. Es ist, als würde das Maschinentier aus dem Bild emporspringen und herausfallen zugleich – ein Effekt, der durch einen kontrapunktisch diagonal unter das Pferd gesetzten elliptischen, Surfbrett-förmigen Schatten noch verstärkt wird. Dieser verunsichert die Orientierung weiter, er ragt wie ein Loch in das Raum-Zeit-Kontinuum des Bildes.

Ein zweites großformatiges Bild (Courbette Industria V) überführt das Motiv des metallenen Rosses in einen weiteren, sich von Courbet zunehmend entfernenden Blick- und Assoziationsraum. Seitlich im Jagdgalopp dahinpreschend, sind die Umrisse des Maschinenwesens in drei elliptischen Ausschnitten zu sehen, die von uniformer Fläche umgeben sind: so als würde man es unter Wasser durch die Bullaugen des von Jules Verne 1869 erdachten U-Bootes Nautilus erblicken; oder aber durch die multiplen Linsen jener horizontalen Anordnung von Fotokameras, mit denen es Eadweard Muybridge 1878 erstmals gelang, ein Rennpferd im vollen Galopp aufzunehmen. Dabei ist das Volumen des Pferds in freihändig gezogenen Gitterstrichen umschrieben; die Augen als gewölbtes Netz wie jene eines Insekts, der Schweif wie die Tentakel der autonomen Maschinen aus The Matrix. Das Liniennetz erinnert an die digitalen Gitterdarstellungen für 3-D-Animationen, zudem ist der Hintergrund im grellen Grün der Greenscreen-Technik gehalten, beides Insignien moderner Hollywood-Animation – ein Kontrapunkt, der komplett aus der retrofuturistischen Verne-Muybridge-Welt wieder herausführt.

Weitere, kleinformatigere Bilder fügen alternative Mutationsstadien hinzu. Courbette Industria I versetzt das sechsbeinige Stahlross in einen näher an Courbet angelegten, fleckig-aquarellhaften Wald, wobei das Pferd nun – abgesehen von den sechs statt vier Beinen – näher an der Gestalt und Oberflächenanmutung des realen Tiers bleibt, so als würde unter der Haut Terminator-Cyborg-haft ein Metallskelett hervorkommen. Das Pferd ist jedoch in Hellgrau und Schwarz gehalten, so als wäre es aus einem Comic hineingepastet; Ähnlich verhält es sich bei Courbette Industria II, welches die Farbwerte Courbets in grellerer Form aufnimmt – das Pferd ist dadurch aber umso mehr schwarzweißer mechanischer Fremdkörper: die Zügel stehen hier wie ein steifer Lassoreifen um den Kopf. Bei Courbette Industria III wiederum ist der Wald zu einer pastos-pastellen verschlierten Unterwasserlandschaft mutiert, das Pferd zu einem aquamarin-technischen Wesen, die Mähne wie die Finnen eines Schwertfischs, die Zügel wie die Glocke einer Qualle, der Sattel wie der stummelige Turmaufbau eines U-Boots.

Wo hat uns das alles nun hingeführt, mittels ästhetischer serieller Mutation und narrativer Fragmentierung und Aufsplitterung? Hope stellt sich nicht einfach in den Glanz Courbets oder bei früheren Arbeiten in den langen Schatten beispielsweise Malewitschs: Dazu sind seine Adaptionen bei aller Kenntnis und Bewunderung doch zu sehr im produktiven Sinne respektlos, vor allem gegenüber einer orthodox-dogmatischen Lesart dieser Künstler. Aber er begnügt sich auch nicht mit einem kennermäßigen Zitieren subkulturellen Wissens zwischen B-Movie-Horror-SF und Superheldencomics: Dass bei Superman ein sechsbeiniges Pferd vom Uranus vorkommt – geschenkt; oder dass die mechanisch-organischen Mischwesen aus den Pulp-Fantasien der 1950er Jahre gerne mal ein paar Extremitäten zu viel haben, ebenso. Mit der Zusammenführung all dieser Motive und Materialien in den Bildern wird vielmehr die Tür ins Ungesehene, ins Unbekannte aufgestoßen – und eine solche Tür stellt Andy Hope in Miniaturform in die Ausstellung: Die Aufschrift “UNKNOWN” auf einer halbgeöffnete hölzerne Puppenhaus-Tür ist Reminiszenz an die legendäre frühe Horror-Mystery-Comic-Serie Adventures into the Unknown, deren erstes Cover von 1948 die Tür zu einem Spukhaus zierte. Aber der Schritt ins Unbekannte ist buchstäblich zu verstehen.

Entscheidend bei all dem ist, dass der hergestellte Konnex zwischen den Pulp-Science-Fiction-Motiven und den Genre-Natur- und Jagdszenen Courbets nicht einfach nur eine willkürliche Collage ergibt, den oberflächlichen Reiz eines Pastiche aus kunsthistorischer und popkultureller Anspielung. Vielmehr wird wie schon oft zuvor im Werk Andy Hopes eine Aufspreizung der Wahrnehmung erzeugt, die eine Selbstreflektion zu den Widersprüchlichkeiten des Kunstseins und Kunstmachens ermöglicht.

Womit wir zuletzt wieder bei Courbet wären. Seine Jagdszenen wurden lange von Kritik wie Kunstwissenschaft eher argwöhnisch betrachtet, wenn nicht als beinahe peinliche Regression des revolutionären Realisten übergangen. Entsprechend die Spekulation, dass ihn Spott über die Darstellung des Piqueur auf dem Durchgehenden Pferd dazu bewogen hatte, diesen wieder verschwinden zu lassen. Die Ambivalenz der Rückkehr des Parforce – jener grausamen Hetzjagd, die von Mittelalter bis ins 18. Jahrhundert den Adeligen als Macht- und Prunkdemonstration gedient hatte, während der zu Tode gehetzte und dadurch übersäuerte Hirsch nicht einmal mehr zum Essen taugte – kann dem bekennenden Sozialisten Courbet nicht entgangen sein. Die Hirsche in den beiden anderen Bildern der „Waidmännischen Trilogie“ erscheinen entsprechend auch als tragische, geschundene Kreaturen. Das Gespenstische des Vorgangs wird durch das reiterlose Pferd noch betont. Zugleich ist die Trilogie für einen bürgerlichen Markt gemacht, nicht institutionelle Auftragsarbeit für Kirche oder Staat. Anstatt ein Entweder/Oder zwischen anarchisch-egalitärem Selbstverständnis und bürgerlich-elitärer Verfeinerung, zwischen revolutionärem Bild und marktgefälligen Genre aufzumachen, spitzte Courbet also dialektisch zu (bis hin zur Unverblümtheit von L‘Origine du monde, das von dem osmanischen Ex-Diplomaten und Privatier Halil Şerif Paşa in Auftrag gegeben worden war). Mit Andy Hopes Courbette Industria wird deutlich, dass uns die gleichen Dialektiken noch heute beschäftigen, nur in radikal verwandelter Gestalt.

Jörg Heiser

Vernissage: Freitag, 15. September 2023, 18 bis 21:00 Uhr

Ausstellungsdaten: Samstag, 16. September bis Samstag, 28. Oktober 2023 – ACHTUNG: verlängert bis Sonntag, 3. Dezember 2023

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Bildunterschrift: Andy Hope 1930, Courbette Industria, 2023

Ausstellung Andy Hope 1930 – Galerie Guido W. Baudach | Contemporary Art – Kunst in Berlin – ART at Berlin

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