post-title Alma Feldhandler | Who’s the Captain of All These Boys of Death? | Meyer Riegger | 16.03.-13.04.2024

Alma Feldhandler | Who’s the Captain of All These Boys of Death? | Meyer Riegger | 16.03.-13.04.2024

Alma Feldhandler | Who’s the Captain of All These Boys of Death? | Meyer Riegger | 16.03.-13.04.2024

Alma Feldhandler | Who’s the Captain of All These Boys of Death? | Meyer Riegger | 16.03.-13.04.2024

bis 13.04. | #4195ARTatBerlin | Meyer Riegger präsentiert ab 16. März 2024 (Vernissage: 15.03) die Ausstellung Who’s the Captain of All These Boys of Death? der Künsterin Alma Feldhandler.

Alma Feldhandlers Bilder bergen Gefühle, die nicht benannt werden können, ohne dass die Gefahr bestünde, dass sie zusammenbrechen. Sie sind voll von verwundeten Dingen, zerrissenen Existenzen und bangen Formen, die in den Korridoren der Zeit ausharren. Der Junge auf seinem Bett weiß davon ein Lied zu singen. Über ihm tanzen Marionetten einen schaurigen Tanz, aber das ändert nichts an der seltsamen Sanftheit, die von seinem rekonvaleszenten Körper ausgeht. Wer ist der Anführer all dieser Todesbuben? Wer befehligt diese Figuren, die durch
meinen Körper ziehen?

Im Französischen nennt man die Karteikarte oder das Holzbrettchen, das in Bibliotheken verwendet wird, um den Platz im Regal zu markieren, an den ein Buch gehört, während es eingesehen wird, fantôme, Phantom. Wird der Band nicht zurückgegeben, bleibt das Phantom dort, manchmal für immer. Und genau um diese Definition eines Phantoms geht es mir hier. Ich stelle mir vor, wie Alma im Jüdischen Museum in Berlin eine Sammlung von Werken, Objekten, Bildern und Spuren erkundet, die wie eine Grabstätte angeordnet sind. Jede dieser Spuren ist wie das Phantom eines abwesenden Buches. In diesem Sinne sind die Fotografien fast Phantome eines Phantoms, denn sie repräsentieren nicht nur eine vergangene Vergangenheit, sondern zeugen im Kontext des Jüdischen Museums auch von dem Versuch, die Erinnerung an diese Vergangenheit selbst vollständig auszulöschen.

ART at Berlin - Meyer Riegger - Alma Feldhandler - 2Bildunterschrift Titel: Alma FeldhandlerThe Cinnamon Shop, 2023charcoal and oil on linen147 x 95 cmCourtesy the artist and Meyer Riegger, Berlin/Karlsruhe/Basel

Auf diese Weise sammelt Alma Feldhandler diese ‚Hyperphantome‘, zerbrechliche Geschöpfe, die anzeigen, dass in den Regalen dieser seltsamen Bibliothek etwas fehlt, oder genauer gesagt, dass alles fehlt, obwohl nicht alles verschwunden ist. Almas Herangehensweise endet doch nicht mit diesem Akt des Sammelns, sie hat vielmehr ihren Ursprung darin. Ich stelle mir vor, wie sie in einem schweren Wollmantel mit Taschen voller Phantome durch Berlin streift. Seltsamerweise fühlt sie sich durch diese Phantome leichter, auch wenn diese Leichtigkeit von einer alten Traurigkeit überlagert wird. An den Wänden ihres Ateliers bilden sie eine Schar vermisster oder verlorener Geschöpfe. Die Mela cholie, die hier zum Ausdruck kommt, ist nicht so sehr die Melancholie einer Malerin, die auf dem Weg von einem Archiv zum anderen den Krankheiten der Phantome erliegt, sondern die Melancholie der gemalten Geschöpfe selbst, die von weit hergekommen sind, um Teil unseres Lebens zu werden und uns zu helfen, die Welt zu verändern. Alma Feldhandlers Malerei dokumentiert diese Sehnsucht nicht, sondern stellt sie mit ihren eigenen Mitteln nach. Deshalb hat jedes Bild, jede Zeichnung die Kraft, mich in eine Welt zu versetzen, in der bunte Geschöpfe, die ihren eigenen Geschäften nachgehen, sich zur zärtlichsten aller Erlösungen verschwören. Wie könnte man sich angesichts solcher Gefühle nicht völlig hilflos fühlen?

Damit stellt sich die Frage nach der Malerei. Die Frage nach dem Wesen, der Funktion und der Rolle der Malerei. Denn es scheint offensichtlich, dass Alma Feldhandlers Malereien und Zeichnungen nicht einfach die Übertragung eines Phantoms auf eine andere Oberfläche mit anderen Mitteln sind. In den Linien und Farben schwingt etwas viel Geheimnisvolleres mit, etwas, das, wie ich glaube, eine wirkliche Transmutation der dargestellten Sujets bewirkt. Es ist ein wenig so, als ob Alma Feldhandler, ausgehend von den Phantomen, nicht versucht, die verschwundenen Bücher neu zu schreiben, sondern ihre Textur, ihre Tonalität und ihre einzigartige Art zu klingen und Welten zu erschaffen, zu rekonstruieren. Die Künstlerin hat etwas von einem Medium, aber auf eine sanfte, stille Art; sie forciert nichts, sie drängt nicht, sie lässt die Dinge einfach geschehen. Aus diesem Grund hat die Leuchtkraft von Alma Feldhandlers Arbeiten etwas unheimlich Energetisches: als ob die Malerei aufgrund ihrer spezifischen Eigenschaften in der Lage wäre, diese Phantome zu nutzen, um die tatsächliche Realität der dargestellten Szenen nachzuzeichnen.ART at Berlin - Meyer Riegger - Alma Feldhandler - 3

Bildunterschrift Titel: Alma FeldhandlerWho Is the Captain of All These Boys of Death?, 2023charcoal and oil paint onlinen147 x 95 cm Courtesy the artist and Meyer Riegger, Berlin/Karlsruhe/Basel

Aber wenn ich zulasse, dass ich in meinen Tagtraum abdrifte, tauchen andere Dinge auf. Mir wird klar, dass der Begriff Phantom vielleicht nicht der richtige oder angemessene ist. Vielleicht haben andere mediale Geschöpfe die Aufgabe, uns daran zu erinnern, dass diejenigen, die wir für tot halten, es nicht sind; dass der Tod quantenphysikalisch gesehen Unsinn ist; dass jede Geste, jedes Wort, jede Empfindung in einer ewigen Gegenwart existiert, die auch eine ewige Vergangenheit und eine ewige Zukunft ist; und dass die Kunst in dieser Hinsicht vielleicht einfach ein Weg ist, dies anzuerkennen, das heißt Zeitreisen zu praktizieren, so selbstverständlich, wie wir schreiben, nähen oder tanzen.

Je länger ich darüber nachdenke, desto mehr scheint das Motiv des Engels diese Art von Quantenmedialität zu symbolisieren. Engel sind nicht die Mittler zwischen Menschen und Göttern, denn die Welt lässt sich nicht auf diese Wesenheiten reduzieren. Engel sind vielmehr Mittler zwischen dem, was ist, was war, was sein wird und damit auch dem, was hätte sein können. Diese Vermittlerrolle kann auf verschiedene Weise wahrgenommen werden. Auf der Quantenebene sind die Zeitebenen miteinander verflochten, so dass Vergangenheit und Zukunft in der Gegenwart existieren, Gegenwart und Vergangenheit in der Zukunft, Gegenwart und Zukunft in der Vergangenheit und so weiter. Als Mittler überbringen Engel Botschaften durch diese verschränkten Zeitebenen. Im Hebräischen ist das Wort für Engel identisch mit dem für Boten: mal’akh. Das Wort Tradition leitet sich vom ateinischen traditio, tradere, ab, von trans ‚über‘ und dare ‚geben‘, bedeutet also ‚an jemand anderen weitergeben, ‚übergeben‘. Genau das tun Engel in ihrer Eigenschaft als Boten. Wie bei den Engeln geht es auch in der Tradition darum, etwas weiterzugeben. Aber jeder Akt der Weitergabe bedeutet auch eine Verwandlung. Tradition ist immer Metamorphose, und Engel sind immer Experten auf diesem Gebiet. Mutierte, geflügelte Geschöpfe, die sich in Kohorten in Richtung einer besseren Welt bewegen. Deshalb spüre ich beim Betrachten dieser gemalten Figuren ein Flügelrauschen unter meinem Brustbein.

Es überrascht nicht, dass ein solches Rauschen bereits mit der Judaistik in Verbindung gebracht wurde. ‚In jedem Wort‘, so Levinas in seinen Vier TalmudLesungen, steckt ein Vogel mit gefalteten Flügeln, der auf den Atem der Lesenden wartet‘. Das Studium und die Interpretation ermöglichen es diesem Vogel der Bedeutung, seine Flügel auszubreiten – aber man muss auch auf seinen Rücken springen können, um mit ihm durch die Luft zu den Sternen zu fliegen. Darum geht es in den Arbeiten von Alma Feldhandler: In jedem Bild warten Geschöpfe mit ausgebreiteten Flügeln darauf, dass der Blick der Betrachtenden, der zum Atem wird, es ihnen erlaubt, sich in die Lüfte zu erheben.

Alma Feldhandlers Arbeit beginnt also mit dem Archiv und seinen Phantomen, aber sie beschränkt sich nicht darauf. Die Malerin erweckt nichts zum Leben, sondern verlässt sich auf Linie und Farbe, auf sämtliche Techniken der Malerei, um das zu erreichen, was sie malt. Sie lässt das künstlerische Medium seine Medialität voll entfalten und kommuniziert dabei, lässt teilhaben, teilt die Formen und die Zeit, denn ja, alle Zeit ist geteilte Zeit, und so sind wir Zeitgenoss*innen von allem, was uns vorausgeht, von allem, was nach uns kommt, von allem, was war, ist, sein wird oder sein könnte. Das ist zweifellos ein Akt des Glaubens, aber ist es nicht das, was uns schreiben, malen und lieben lässt? Antworten wir nicht ständig auf die Mahnungen derer, die in anderen Zeiten leben? Verschwören wir uns nicht, eine andere Geschichte, eine andere Welt zu schaffen? Und versuchen wir dabei nicht auf einer Quantenebene, die Fallen von Zwang und Gewalt zu überwinden?

Natürlich spreche ich wie ein Dichter, und deshalb mache ich zwangsläufig Fehler. Ich spreche die Namen der Engel aus, weil ich spüre, dass in der Art und Weise, wie sie erscheinen und verschwinden, wie sie verharren und sich bewegen, wie sie lächeln und weinen, etwas mit dem zu tun hat, was mich persönlich ergreift, wenn ich mich von Alma Feldhandlers Malereien und Zeichnungen überwältigen lasse. Ich spreche hier nicht von Schwindel oder Faszination. Es ist etwas anderes. Und dieses Etwas berührt mich auch als Leser von Bruno Schulz – dessen berühmtestes Werk Die Zimtläden titelgebend für eine der hier ausgestellten Malereien ist –, Walter Benjamin und Franz Kafka, die beide zur F milie der heterodoxen Juden und Jüdinnen gehören, die Michael Löwy in einem seiner eindringlichsten Bücher behandelt hat. Ich glaube, es ist diese Mischung aus Angelologie und jüdischer Heterodoxie, die mich an Alma Feldhandlers Arbeit fasziniert und die sie für mich so einzigartig literarisch macht, als wären ihre Pinselstriche Bücher und ihre Leinwände Bibliotheken voller Flüstern. Und es ist wahr, dass diese Schriftsteller, von denen ich gerade gesprochen habe, den Engeln ähneln, die mir vorhin in den Sinn gekommen sind. Ich suche also nach dem, was sie verbindet. Ich betrachte die wenigen Fotografien, die ich von ihnen finde, ich lese erneut ihre Biografien, und jedes Detail scheint meine Intuitionen zu bestätigen, ohne dass sich jedoch etwas erschließt. Es sind keine Geister oder Gespenster, sondern Geschöpfe, die auf einzigartige Weise mit den Schattenseiten der Dinge und der Welt verbunden sind; Geschöpfe, denen die Vorahnung ihres frühen Verschwindens innezuwohnen scheint – und die richtig gesehen haben; eine Art Mischwesen, das, wie Odradek, das Untier, das Kafka in Die Sorge des Hausvaters beschreibt, eine Rolle Garn und einen Stern, die unmittelbarste Unwirklichkeit und die entfernteste Wirklichkeit in sich vereint.

Es liegt in der Natur der Engel, im Exil zu leben. Als Mittler sind sie ständig unterwegs, um die Dinge durch die Vielfalt der Zeit hindurch zu ve binden. Ihr Exil ist die Voraussetzung für ihre unendliche Aktualität: Engel erreichen uns immer in der Gegenwart, und in dieser Gegenwart übermitteln sie unsere Botschaften an die Geschöpfe, die wir nicht kennen, die uns aber ebenso brauchen wie wir sie.

Das Archivierungsfieber, malerisch festgehalten, wird zu einer Operation der Liebe. Die Kranken sind Gespenster, die Gespenster sind Engel, und die Engel lehren uns durch ihre Botschaften zu leben und zu lieben. Natürlich bleibt der Schrecken. Das Gespenst der Gewalt geht immer noch bedrohlich um. Die Angst liegt auf der Lauer, bereit, uns zu überfallen. Die Sorge bleibt, wie die Marionetten über dem Jungen, der ans Bett gefesselt ist. Aber die Malerei kann all das überwinden. Von Leinwand zu Leinwand, von Botschaft zu Botschaft verwandelt sich die Welt. Das erinnert mich an ein Zitat von Benjamin, das in einem Text von Adorno zitiert wird, den ich nicht mehr finde: „Nur um der Hoffnungslosen willen ist uns die Hoffnung gegeben“. Es ist diese Hoffnung, diese Verletzlichkeit, die ich in Alma Feldhandlers Bildern wiederfinde, in den farbigen Körpern dieser zu Engeln gewordenen Phantome.

Hier erreichen uns Botschaften aus allen Zeitebenen. Das Bett des jungen Tuberkulosekranken ist letztlich ein Raumschiff. Hier hat ein Engel seine Mission erfüllt. Er schwebt durch das dunkelste aller Universen, um Botschaften zu überbringen, die nichts mehr zu verbergen haben. Den Rest erledigt Alma Feldhandler. Sie vertraut der Farbe, denn die Farbe ist allwissend, und dieses Wissen ist das Versprechen der Wiedergutmachung. Ja, wir sind den Engeln verpflichtet – die Geschichten, die sie erzählen, fordern uns auf, den Kreislauf der Unterwerfung zu durchbrechen und die Fallen der Autorität zu entschärfen, denn nur die Liebe kann die Ewigkeit ertragen.
Romain Noël

Vernissage: Freitag, 15. März 2024, 18:00 – 21:00 Uhr

Ausstellungsdaten: Samstag, 16. März bis Samstag, 13. April 2024

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Bildunterschrift Titel: Alma Feldhandler, Who Is the Captain of All These Boys of Death?, 2023, Softpastell und Gouache auf Papier, 30 x 21,5 cm. Courtesy die Künstlerin und Meyer Riegger, Berlin/Karlsruhe/Basel

Ausstellung Alma Feldhandler – Meyer Riegger | Contemporary Art – Kunst in Berlin | Ausstellungen Berlin Galerien | ART at Berlin

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