post-title Viktoria Binschtok | 43% happy | KLEMM’S | 03.11.-22.12.2023

Viktoria Binschtok | 43% happy | KLEMM’S | 03.11.-22.12.2023

Viktoria Binschtok | 43% happy | KLEMM’S | 03.11.-22.12.2023

Viktoria Binschtok | 43% happy | KLEMM’S | 03.11.-22.12.2023

bis 22.12. | #4085ARTatBerlin | KLEMM’S präsentiert ab 03. November 2023 die Ausstellung 43% happy der Künstlerin Viktoria Binschtok.

Viktoria Binschtoks “Typewriter Photographs”

Zuerst fühlt man sich tief ins 20. Jahrhundert zurückversetzt: Fotos einer alten mechanischen Schreibmaschine, genauer: einer Typenhebelmaschine, darin eingespannt jeweils ein weißes, vollgetipptes Blatt Papier. Das kleine ‚a’ tanzt ein bisschen aus der Reihe, und oft drückt sich das Farbband durch, was die Buchstaben schmutzig werden lässt. Auf den Blättern stehen nur einzelne Worte oder Zahlen, manchmal in Reihen, manchmal halb übereinandergeschrieben, manchmal mit großen Abständen dazwischen. Das erinnert an Gedichte ‚Konkreter Poesie’. Also an noch etwas aus dem 20. Jahrhundert, als man damit experimentierte, Worte in Konstellationen zueinander zu setzen und Bedeutung anders als über syntaktische Beziehungen zu erzeugen.

Der Titel von Viktoria Binschtoks Ausstellung – „43% happy“ – bringt jedoch wieder in die Gegenwart zurück. Eine pro- zentuale Quantifizierung von Emotionen ist ein typisches Feature KIgestützter Programme zur Gesichtserkennung. Sie werden darauf trainiert, ‚Action Units’, also einzelne Zustände oder Abläufe in der Mimik einer Person zu erfassen und aufeinander zu beziehen. Da die Kombination von ‚Action Units’ zu jeweils anderen Ausprägungsformen einer Emotion führt, kommt es zu den prozentualen Angaben. So wird eine Person, die nur lächelt, als weniger vergnügt identifiziert als eine Person, die zugleich Lachfältchen um die Augen hat.

Neben dem Gefühlszustand vermessen Erkennungsprogramme ein Gesicht nach weiteren Parametern, treffen also etwa Aussagen über das Alter, Geschlecht oder die ethnische Zugehörigkeit eines Menschen. Dieselbe Person, die zu 43% gut gelaunt ist, wird vom Programm als 28-jährige Frau mit braunen Haaren bestimmt. Der Titel des Fotos von Vik- toria Binschtok, auf dem man die entsprechenden Angaben lesen kann, lautet „Mona L.“ – und damit ist klar, dass das eine ebenso kurze wie nüchterne Beschreibung eines der berühmtesten – und am meisten fotografierten – Kunstwerke der Welt ist. Binschtoks Foto zeigt, was von der Mona Lisa bleibt, wenn ein Gesichtserkennungsprogramm sie nach wenigen, zum Teil auch groben, manchmal vielleicht sogar irreführenden Kategorien auswertet und man das Ergebnis dann mit einer mechanischen Schreibmaschine abtippt.

Auch die anderen Fotos der Serie zeigen doppelt umgewandelte Versionen von Bildern. Diese sind unterschiedlichen Charakters, können also Pressefotos, private Aufnahmen oder Werbebilder sein, lassen sich nun aber alle nur noch durch die Kategorisierungen des KI-Programms sehen. Bei genauerem Studium bemerkt man aber, dass offenbar nicht immer dieselbe Bilderkennungs-App zum Einsatz kam. Was und wie verbalisiert wird, ändert sich je nach Interesse derer, die eine solche App nutzen. In einer größeren Gruppe von Menschen eine polizeilich gesuchte Person zu finden (wie bei „suspect found!!!“), verlangt das Training der KI mit Bildern derselben Person. Dagegen setzt es einen sehr großen, heterogenen Bildkorpus voraus, damit eine KI neben Personen auch Bäume, Hunde oder Autos identifiziert (wie bei „Sunset Boulevard“). Millionen von Bildern müssen einzeln beschrieben – per Handarbeit getaggt – werden, bis die selbstlernenden Systeme Sujets auf anderen Bildern halbwegs zuverlässig und detailliert erfassen.

Generell steckt hinter Bilderkennungsprogrammen viel mehr menschliche Akkordarbeit, als High-Tech erwarten ließe. Billige Arbeitskräfte bereiten unter oft kaum zumutbaren Bedingungen Material auf, womit sich gegenüber stupiden Arbeitsprozessen der Industrialisierung nicht viel geändert hat. Das aber wird in Binschtoks „Typewriter Photographs“ spürbar, denn indem sie die Bilderkennungsprozesse auf mechanische Abläufe zurückführt und den Blick auf den metallenen Typenkranz der Schreibmaschine lenkt – man hört beim Betrachten ihrer Fotos geradezu ein hektischlautes Klappern –, entzaubert sie die vermeintlich cleane und geräuschlose Anwendung digitaler Programme. Dass die Buch- staben etwas unsauber in Erscheinung treten und die Konstellation der Worte unruhig wirkt, verstärkt diesen Effekt.
Generell steckt hinter Bilderkennungsprogrammen viel mehr menschliche Akkordarbeit, als High-Tech erwarten ließe. Billige Arbeitskräfte bereiten unter oft kaum zumutbaren Bedingungen Material auf, womit sich gegenüber stupiden Arbeitsprozessen der Industrialisierung nicht viel geändert hat. Das aber wird in Binschtoks „Typewriter Photographs“ spürbar, denn indem sie die Bilderkennungsprozesse auf mechanische Abläufe zurückführt und den Blick auf den metallenen Typenkranz der Schreibmaschine lenkt – man hört beim Betrachten ihrer Fotos geradezu ein hektischlautes Klappern –, entzaubert sie die vermeintlich cleane und geräuschlose Anwendung digitaler Programme. Dass die Buch- staben etwas unsauber in Erscheinung treten und die Konstellation der Worte unruhig wirkt, verstärkt diesen Effekt.

Viktoria Binschtoks Serie kommt genau im richtigen Moment. Denn seit KI-Programme zunehmend populär werden und immer mehr Menschen sie verwenden, sollte man endlich auch besser über ihre Voraussetzungen und Folgen Bescheid wissen. Dabei geht es nicht nur um fragwürdige Arbeitsformen bei ihrem Training, sondern genauso um ihren gigantischen Energieverbrauch oder um datenschutzrechtliche Probleme. Indem Viktoria Binschtok die Ergebnisse der KIAnwendungen in eine analog-mechanische Umgebung transferiert, sich also des Mittels der Verfremdung bedient, gibt sie aber auch einen Anstoß, diese negativen Auswirkungen der digitalen Technik sowie deren Verwobenheit mit allen Lebensbereichen zu vergegenwärtigen. Wie schon in ihren vorangehenden Serien „Clusters“ und „Networked Images“ gelingt ihr ein formal ebenso eigenständiges wie prägnantes Konzept, um bewusst zu machen, dass Bilder in der digitalen Welt zu Daten und damit operativ vielfältig verwendbar werden.

Aber nicht nur das: So wie Binschtok analoge und digitale Welt, das 20. und das 21. Jahrhundert in ihrer Serie „Typewri- ter Photographs“ miteinander verbindet, schafft sie einen neuen Raum jenseits zeitlicher Datierbarkeit. Man fühlt sich der eigenen Gegenwart enthoben, und wenn man die KI-erfassten, getippten Bilder ‚liest’, entsteht ein Kopfkino, das alle Freiheiten lässt.

Medienreflexion und Analyse ist dann zugleich – zuerst und zuletzt – Poesie.

Wolfgang Ullrich

Der Ausstellungstext stammt von dem Kunsthistoriker, Autor und Kulturwissenschaftler Wolfgang Ullrich.

Vernissage: Freitag, 3. November 2023, 18:00 – 21:00 Uhr 

Ausstellungsdaten: Freitag, 3. November – Freitag, 22. Dezember 2023

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Bildunterschrift: Viktoria Binschtok, Sunset Boulevard, 2023; digital c-print; 80 x 60 cm

Ausstellung Viktoria Binschtok – KLEMMS | Zeitgenössische Kunst in Berlin | Contemporary Art | Ausstellungen Berlin Galerien | ART at Berlin

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